Wer sich treuwidrig der Leistungspflicht entzieht, kann sich nicht auf die Ausschlussfrist berufen!

1. In der Gebäudeversicherung kann ein Antrag auf Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz der Neuwertspitze auch dann zulässig sein, wenn eine Wiederherstellung oder Ersatzbeschaffung noch nicht sichergestellt ist.*)
2. Die Berufung des Versicherers auf die Ausschlussfrist ist ausgeschlossen, wenn sich der Versicherer über längere Zeit treuwidrig seiner Leistungspflicht entzieht.*)

OLG Dresden, Urteil vom 06.10.2020 - 4 U 2789/19

AVB § 8; VVG § 93

Problem/Sachverhalt

Der Versicherungsnehmer (VN) macht aus einer Inhaltsversicherung zum Neuwert aufgrund eines Brands vom 31.10.2015 noch 61.807,54 Euro geltend. Die Differenz des Zeitwerts zum Neuwert erhält der VN nur, sobald und soweit er innerhalb von drei Jahren nach Eintritt des Versicherungsfalls sichergestellt hat, dass er die Entschädigung verwenden wird, um bewegliche Sachen, die zerstört wurden, in gleicher Art und Güte in neuwertigem Zustand wiederzubeschaffen. Am 07.12.2015 zahlt der Versicherer (VS) auf den Inhaltsschaden 10.000 Euro und auf den Gebäudeschaden weitere 25.000 Euro voraus. Nach Schriftverkehr zwischen VS und VN lehnt der VS am 09.08.2016 die Regulierung ab. Zur Sicherstellung der Ersatzbeschaffung der beschädigten Sachen schließt der VN am 04.01.2019 einen Kaufvertrag ab.

Entscheidung

Das OLG weist die Berufung des VN gegen das klageabweisende erstinstanzliche Urteil bis auf einen geringen Betrag von 2.430 Euro zurück. Der Feststellungsantrag ist zwar zulässig. Es kommt nicht darauf an, ob der VN die Ersatzbeschaffung bereits sichergestellt hat. Für die Frage nach der Gegenwärtigkeit des Rechtsverhältnisses ist nicht entscheidend auf den Zeitpunkt der Anspruchsentstehung abzustellen. Entscheidend ist, dass nach dem unstreitigen Eintritt des Versicherungsfalls die Grundlagen des Anspruchs gegeben sind. Dem VN steht gegen den VS jedoch kein Anspruch auf Zahlung der Neuwertspitze zu. Denn er hat die Neuanschaffung der zerstörten Gegenstände nicht innerhalb der in der vereinbarten strengen Wiederherstellungsklausel geregelten Frist von drei Jahren sichergestellt (31.10.2015 Tag des Schadensfalls, 04.01.2019 Auftragsbestätigung für Neuanschaffung). Es liegt auch kein Fall gemäß Leitsatz 2 vor. Der VS hat den Schaden nicht bestritten und unmittelbar nach Schadenseintritt einen Vorschuss i.H.v. 10.000 Euro bezahlt. Der VN hätte die Ersatzbeschaffung innerhalb der Drei-Jahres-Frist sicherstellen können, nachdem der VS sich geweigert hatte, weitere Zahlungen zu leisten. Mit dem Betrag von 10.000 Euro hätte der VN auch eine teilweise Wiederbeschaffung leisten können. Der VN kann sich nicht darauf berufen, dass er die Gegenstände nicht habe unterbringen können, weil das Gebäude nicht saniert worden sei; das hat nicht der VS zu vertreten. Danach besteht lediglich ein Anspruch auf Erstattung des Zeitwertschadens.

Praxishinweis

Das OLG Köln (VersR 2018, 1248) wäre - vom OLG Dresden erkannt - anderer Ansicht gewesen und hätte den Feststellungsantrag als unzulässig abgewiesen. Danach ist für die Gegenwärtigkeit des Rechtsverhältnisses der Zeitpunkt der Anspruchsentstehung entscheidend. Für den Zeitpunkt der Anspruchsentstehung kommt es auf die Sicherstellung der Wiederbeschaffung an. In § 93 Satz 1 VVG, lediglich eine Auslegungsregel für unklare Versicherungsbedingungen, heißt es zwar, der Restbetrag könne bei Sicherstellung "verlangt" werden; dort ist also nicht die Entstehung, sondern die Fälligkeit des Anspruchs geregelt. In den üblichen AVB´s und so auch hier ist jedoch geregelt, dass der VN den Anspruch "nur erwirbt", soweit und sobald er die Ersatzbeschaffung sichergestellt hat.

RA und FA für Bau-, Architekten- und Versicherungsrecht Dr. Jörg Schmidt, Schwerin