Abrechnung direkt mit der Versicherung vereinbart: Auftraggeber ist nicht "aus allem raus"!

1. Der Auftraggeber einer Werk- oder Bauleistung wird nicht deshalb von seiner Pflicht zur Zahlung des vereinbarten Werklohns frei, weil er mit dem Unternehmer vereinbart hat: "Der Auftraggeber tritt hiermit seine Versicherungsansprüche gegen nachstehenden Versicherer aus dem Schadensfall in Höhe des Werklohnanspruchs für die zu erbringenden Dienstleistungen an den Unternehmer ab, der die Abtretung annimmt. Der Unternehmer ist berechtigt, die erbrachten Leistungen direkt mit der Versicherung unter der o. g. Schadensnummer abzurechnen. Die Abtretungsvereinbarung bezieht sich auf die Höhe der vom Versicherer freigegebenen Dienstleistung. Soweit der Versicherer den Gesamtrechnungsbetrag aufgrund einer Unterversicherung oder einer Vorsteuerabzugsberechtigung nicht reguliert, wird dieser Differenzbetrag vom Auftraggeber ausgeglichen."
2. Auch wenn in einem Vertragsformular die auszuführenden Arbeiten nicht konkret beschrieben werden, ist der Werkvertrag wirksam, wenn die zu erbringenden Werkleistungen jedenfalls im Nachhinein im Einzelnen vereinbart werden.

OLG Koblenz, Urteil vom 23.07.2024 - 3 U 245/24

BGB §§ 133157305c364631

Problem/Sachverhalt

Das Gebäude des Auftraggebers (AG) wird vom Ahr-Hochwasser beschädigt. Der AG unterschreibt einen Bauauftrag für den Unternehmer (U). Unter der Überschrift "Auftrag und Abtretungserklärung" finden sich die in Leitsatz 1 zitierten Klauseln. U stimmt die konkret auszuführenden Arbeiten mit dem Versicherer (V) ab. U führt die Arbeiten aus. Sein Werk wird abgenommen und ist mangelfrei. V bezahlt nur einen Teil der geprüften Schlussrechnung des U. Der AG meint, U müsse sich wegen der fehlenden Zahlungen an V halten. Das Landgericht weist die Zahlungsklage des U gegen den AG ab. Der AG sei nicht passiv legitimiert.

Entscheidung

Das OLG verurteilt den AG durch Grundurteil zur Zahlung. Zur Höhe fehlt eine erforderliche Beweisaufnahme. Der AG ist Vertragspartner des U. Der Werkvertrag ist wirksam. Zur Begründung ist auf Leitsatz 2 zu verweisen. Der AG ist durch die Abtretungsklausel nicht von der Pflicht zur Zahlung des Werklohns frei geworden. Denn diese vertragliche Regelung ist als Abtretung erfüllungshalber zu verstehen, nicht als eine den Beklagten befreiende Abtretung an Erfüllungs statt. Das ergibt die Auslegung des Vertragstextes (Leitsatz 1). Wortlaut, Interessenlage, Verkehrssitte und Gesamtschau ergeben, dass die Abtretung keine Erfüllungshandlung (Abtretung an Erfüllungs statt), sondern eine Abkürzung des Zahlungswegs (Abtretung erfüllungshalber) beinhaltet. Zudem ist § 364 BGB ein allgemeiner Rechtsgedanke zu entnehmen, wonach die Abtretung eines gegen einen Dritten gerichteten Anspruchs an den Gläubiger eine Leistung erfüllungshalber ist (MüKoBGB/Fetzer, 9. Aufl., § 364 Rz. 9 m.w.N.). Die Klausel ist auch nicht intransparent (§ 305c Abs. 2 BGB). Sie regelt unzweideutig eine Abtretung erfüllungshalber. Der Werklohn ist fällig. Nach erfolgloser außergerichtlicher Geltendmachung des Anspruchs gegenüber V ist die mit der Abtretung erfüllungshalber vereinbarte Stundung entfallen.

Praxishinweis

Die von den Parteien nicht thematisierte Frage, ob die Abtretungsklausel als Allgemeine Geschäftsbedingung überhaupt wirksam war (wegen möglichen Verstoßes gegen das Transparenzgebot und wegen der fehlenden Erkennbarkeit, unter welchen Voraussetzungen der AG von U trotz Abtretung weiterhin aus dem Werkvertrag in Anspruch genommen werden kann und welche Rechte der AG im Zusammenhang mit der Abtretung hat), bedurfte keiner Entscheidung. Die Parteien hätten auch vereinbaren können, dass ein Rückgriff auf den AG nur zulässig ist, wenn die Durchsetzung der Forderung gegen V ausdrücklich "nicht möglich" war. Dann hätte U gegen V erfolglos klagen und zwangsvollstrecken müssen, bevor er den AG in Anspruch hätte nehmen dürfen (BGH, Urteil vom 23.01.2024 - VI ZR 357/22IBRRS 2024, 1103).

RA und FA für Bau- und Architektenrecht, FA für Versicherungsrecht Dr. Jörg Schmidt, Schwerin 

Feststellungsklage des Versicherers gegen den Schädiger

 

1. Gegenstand der Feststellungsklage muss das Bestehen eines Anspruchs und nicht lediglich die Feststellung eines diesem zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses sein. Das Feststellungsinteresse des Versicherers kann in der Hemmung der Verjährung liegen.

 2. Das festzustellende Rechtsverhältnis muss nicht unmittelbar zwischen den Parteien des Rechtsstreits bestehen, vielmehr ist jedes zwischen einer Partei und einem Dritten bestehende Rechtsverhältnis einer Feststellung zugänglich, wenn und soweit der Kläger gerade ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung gegenüber dem Beklagten nachweist.

 3. Eine zunächst zulässig erhobene Feststellungsklage bleibt zulässig, auch, wenn im Laufe des Rechtsstreits eine vollständige Bezifferung möglich wird.

 4. Der Versicherer kann vor Erbringung seiner Leistung nicht auf Feststellung seines (künftigen) Anspruchs klagen, sondern nur auf Feststellung der Ersatzpflicht des Schädigers gegenüber dem Versicherungsnehmer. Denn der Anspruch geht nach § 86 Abs. 1 S. 1 VVG nur über, soweit der Versicherer den Schaden ersetzt hat.

 5. Mit der Klage auf Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses zwischen dem Schädiger und dem Versicherungsnehmer (hier: Schadensersatzanspruch) wird die Verjährungsfrist für sämtliche Schadensersatzansprüche des Versicherungsnehmers, aber auch für die zu einem späteren Zeitpunkt auf den Versicherer übergehenden Ansprüche gehemmt.

OLG Koblenz, Beschluss vom 09.02.2022 – 2 U 619/21

BGB § 204, VVG § 86 Abs. 1 S. 1, ZPO § 522 Abs. 2

Problem/Sachverhalt

Der Versicherungsnehmerin (VN) unterhält eine Hausrat- und Wohngebäudeversicherung. A baut im Haus der VN einen Grundofen ein. Es kommt zu einem Schadenfeuer. Die Versicherung (VS) tritt in die Regulierung ein, zahlt aber noch nicht. Es ist streitig, ob der Brand durch eine fehlerhafte Installation des Ofens entstand. A beruft sich zudem auf Verjährung. Der Gerichtssachverständige stellt fest, dass der Grundofen „mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit“ schadensursächlich ist. VS erhebt gegen A eine Feststellungsklage wegen eines Betrages in Höhe von 368.439,57 € und dessen Einstandsverpflichtung im Übrigen. Das Landgericht gibt der Klage statt.

Entscheidung

Das OLG beabsichtigt, die Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen und erteilt Hinweise wie aus den Leitsätzen ersichtlich. Mit dem Klageantrag zu 1., der das Bestehen eines Rechtsverhältnisses zwischen VN und A, den Anspruch auf Ersatz des aus dem Brandereignis entstandenen Schadens, zum Gegenstand hat, wird nicht nur die Verjährungsfrist für sämtliche Schadensersatzansprüche des VN, sondern auch für die zu einem späteren Zeitpunkt auf VS übergehenden Ansprüche gehemmt. Insoweit handelt es sich nicht um verschiedene, einer getrennten Beurteilung der Verjährung unterliegenden Sachverhalte mit der Folge, dass sich die Verjährung nicht nach dem Zeitpunkt des jeweiligen Übergangs richtet. Das folgt auch daraus, dass auf den gesetzlichen Forderungsübergang die Vorschriften des Zessionsrechts anwendbar sind, also die Einwendungen maßgeblich sind, die im Verhältnis zum VN begründet waren (arg. ex § 404 BGB). Durch den Feststellungsantrag wird diese Verjährungsfrist gehemmt.

Praxishinweis

In den Brandfällen ist regelmäßig die Ursache des Brandes streitig. Die Gerichte beauftragen dann Sachverständige. Von deren Beurteilung hängt der Ausgang des Rechtsstreits ab. Allerdings ist es zulässig, dass die unterliegende Partei auch noch in der zweiten Instanz ein Privatgutachten vorlegt, welches die Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen erheblich in Zweifel zieht oder sogar widerlegt und dass das Berufungsgericht dann einen weiteren gerichtlichen Sachverständigen beauftragt, der die Brandursache anders als der erste Gerichtssachverständige beurteilt (zu einem solchen Fall: OLG Schleswig, Urteil vom 13.08.2020 – 11 U 124/14). Da es in den Brandfällen regelmäßig um hohe Streitwerte geht, sollte dies nicht unversucht bleiben. Hier hatte der Ofenbauer erstinstanzlich ein Privatgutachten vorgelegt, welches das Landgericht jedoch im Vergleich zum Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen nicht für ausreichend überzeugend hielt.

 gez. Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bau-, Architekten- und Versicherungsrecht Dr. Jörg Schmidt, Schwerin

1. Zur Eintrittspflicht des Privathaftpflichtversicherers wegen Baumfällarbeiten zwecks künftiger Nutzung einer derzeit stillgelegten Eissporthalle.*)
2. Angesichts der grundsätzlichen Einstandspflicht des Privathaftpflichtversicherers für alle Gefahren des täglichen Lebens als Privatperson und der Notwendigkeit, dem Versicherungsnehmer bestehende Lücken im Versicherungsschutz hinreichend zu verdeutlichen, dürfte einiges dafür sprechen, auch die in neueren Bedingungen als negative Tatbestandsmerkmale formulierten Ausnahmen für Beruf und Gewerbe als - in die Leistungsbeschreibung gekleidete - Risikoausschlüsse anzusehen.*)

OLG Saarbrücken, Urteil vom 20.12.2023 - 5 U 50/23

VVG §§ 100103

Problem/Sachverhalt

Der Versicherungsnehmer (VN) will das Dach seiner ehemaligen Eissporthalle sanieren. In einem Ortstermin mit der Stadtgärtnerei wird geklärt, welche Bäume dazu im Umfeld gefällt werden dürfen. Es werden dennoch Bäume auf dem Grundstück der Stadt gefällt. Die Stadt verlangt dafür 13.254,35 Euro Schadensersatz. Die Privathaftpflichtversicherung (V) des VN, die die gesetzliche Haftpflicht aus den Gefahren des täglichen Lebens als Privatperson, nicht aus den Gefahren eines Betriebs, Berufs oder Nebenberufs deckt, verweigert die Deckung. Das Landgericht weist die Klage des VN ab.

Entscheidung

Die Berufung ist begründet. Der Schaden entstand nicht aus einem Betrieb oder Beruf. Ein durchschnittlicher VN kann unter den "Gefahren eines Betriebs" nicht jede Gefahr verstehen, die in Zusammenhang mit seinem Vorhaben steht, irgendwann einmal gewerblich tätig zu sein. Als die Bäume gefällt wurden, gab es in der Eissporthalle keinen Gewerbebetrieb. Zudem dienten die Baumfällarbeiten lediglich dazu, Sanierungsarbeiten am Dach der Eissporthalle zu ermöglichen. Der Erwerb oder die Sanierung der Halle zur eventuellen Vermietung/Verpachtung gehören zur privaten Vermögensverwaltung. Es verwirklichte sich keine Gefahr eines vom VN ausgeübten Berufs. Das Handeln des VN lag zu weit im Vorfeld einer als Beruf anzusehenden Tätigkeit als Vermieter/Verpächter. Es stand nicht einmal fest, ob der VN überhaupt einmal aus der Eissporthalle dauerhafte Einkünfte für seinen Lebensunterhalt erzielen würde. So hätte er die Halle vor oder nach der Sanierung verkaufen können. Da der VN also als Privatperson handelte, kommt es nicht darauf an, ob die Formulierung in den Versicherungsbedingungen "nicht aus den Gefahren eines Betriebs oder Berufs" noch Teil der primären Risikobeschreibung oder ein Risikoausschluss ist. Das Gericht tendiert zu Letzterem. Es liegt keine vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalls vor. Der (bedingte) Vorsatz muss sich auch auf die Herbeiführung des Schadens beziehen. Diesen muss V darlegen und beweisen. Es fehlt schon an der Darlegung. Es gibt keinen Erfahrungssatz, dass jemand, der sich vor dem Fällen von Bäumen im Bereich der Grundstücksgrenze nicht über den Grenzverlauf kundig mache, billigend in Kauf nehme, auch Bäume zu fällen, die nicht auf seinem Grundstück stehen, zumal es keinen Anscheinsbeweis für Vorsatz gibt (BGH, Urteil vom 04.05.1988 - IVa 278/86) und der VN den Ortstermin mit der Stadt vereinbarte, um zu klären, welche Bäume gefällt werden dürften.

Praxishinweis

Ob eine Risikobeschreibung oder ein Risikoausschluss vorliegen, bestimmt die Beweislastverteilung. Bei einer Risikobeschreibung (dafür z. B. OLG Köln, r+s 2016, 346) trägt der VN, bei einem Risikoausschluss (dafür z. B. OLG Oldenburg, VersR 2014, 1364) V die Darlegungs- und Beweislast für die Verwirklichung bzw. Nichtverwirklichung eines beruflichen Risikos. Nach dem OLG Saarbrücken kann ein durchschnittlicher VN bei der Formulierung "nicht aus den Gefahren eines Betriebs oder Berufs" nicht klar erkennen, dass die Deckung auf sein zweifelsfrei privates und zugleich nachgewiesenermaßen nicht betriebliches/berufliches Risiko beschränkt ist. Zudem muss der durchschnittliche VN nicht damit rechnen, dass er Lücken im Versicherungsschutz hat, ohne dass ihm diese hinreichend verdeutlicht werden (z. B. BGH, Urteil vom 17.09.2003 - IV ZR 19/03IBRRS 2003, 2656).

RA und FA für Bau- und Architektenrecht, FA für Versicherungsrecht Dr. Jörg Schmidt, Schwerin

(Unerhebliche) Antragsfrage falsch beantwortet: Versicherung muss nicht zahlen!

1. Eine vorsätzliche Obliegenheitsverletzung wegen der Falschbeantwortung einer Antragsfrage (hier: zur Abgabe einer Vermögensauskunft) liegt auch dann vor, wenn der Versicherungsnehmer diese falsch beantwortet, weil er den erfragten Umstand für unerheblich hält.*)
2. Die Berufung auf Treu und Glauben trotz einer arglistigen Täuschung durch den Versicherungsnehmer kommt nur dann in Betracht, wenn die Täuschung nur einen geringen Teil des versicherten Schadens betrifft und weitere Billigkeitsmomente zu Gunsten des Versicherungsnehmers zu berücksichtigen sind.*)

OLG Dresden, Beschluss vom 18.04.2024 -  4 U 67/24

BGB § 242; VVG § 28

Problem/Sachverhalt

Der Versicherungsnehmer (VN) verlangt von seiner Kaskoversicherung (V) 10.000 Euro wegen des Diebstahls eines Quads. Gemäß den auf den Vertrag anwendbaren E.1.1.3 AKB ist vereinbart: "Sie müssen unsere Fragen zu den Umständen des Schadensereignisses, zum Umfang des Schadens und zu unserer Leistungspflicht wahrheitsgemäß und vollständig beantworten." V befragt den VN telefonisch. Auf die Frage, ob der VN die Vermögensauskunft - aufgeführt ist auch die Nichtabgabe der beantragten Vermögensauskunft - abgegeben habe, antwortet der VN: "Nein. So etwas habe ich nicht". Auf die Frage, warum die Finanzierung des Kaufs durch eine andere Person erfolgte, antwortet der VN: "Ich wollte einfach keine Finanzierung haben. Ich mag das nicht." und an anderer Stelle "Es ist richtig, dass ich bei Banken o. Ä. keinen Kredit erhalten hätte." Das zugesandte Protokoll der V über den Inhalt des Telefonats mit Belehrung nach § 28 Abs. 4 VVG unterschreibt der VN. Im Schuldnerverzeichnis des Amtsgerichts ist die Nichtabgabe der Vermögensauskunft durch den VN vermerkt. V versagt den Versicherungsschutz. Das Landgericht weist die Klage des VN ab.

Entscheidung

Das OLG erteilt den Hinweis, die Berufung des VN gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückweisen zu wollen. V ist gem. § 28 Abs. 2 Satz 1 VVG leistungsfrei. Der VN hat im Zusammenhang mit der Antwort zur Nichtabgabe der Vermögensauskunft vorsätzlich eine Obliegenheit verletzt. Der VN hat auf die Frage der V vorsätzlich verschwiegen, dass er die Abgabe der Vermögensauskunft verweigerte. Zwar trägt V die Beweislast für den Vorsatz, der VN muss jedoch die zur Obliegenheitsverletzung führenden Umstände, die seiner Sphäre angehören, also die Gründe für objektive Falschangaben, nachprüfbar dartun (OLG Gelle, Urteil vom 30.11.2017 -  8 U 27/17). Die Frage war eindeutig. Der Kläger hat auch nach der Übersendung des Protokolls trotz der ihm damit eröffneten erneuten Möglichkeit zur Richtigstellung das Protokoll unterzeichnet. Das Verschweigen war arglistig. Arglist liegt vor, wenn der VN bewusst und willentlich auf die Entscheidung der V einwirkt, wenn er also vorsätzlich eine Obliegenheit verletzt und dabei bewusst gegen die Interessen der V verstößt, weil er damit rechnet, dass seine Obliegenheitsverletzung Einfluss auf die Feststellung des Versicherungsfalls oder die Leistungspflicht der V oder deren Umfang hat oder haben kann. Es ging dem VN mit seinen widersprüchlichen Angaben an unterschiedlichen Stellen zu den Fragen, warum die Finanzierung durch eine andere Person erfolgte und nach der Vermögensauskunft darum, die Regulierung zu beschleunigen und weitere Nachforschungen hinsichtlich seiner finanziellen Situation zu vermeiden. Eine zulässige und eindeutig verständliche Frage hat er auch dann zu beantworten, wenn er den erfragten Umstand für sich als unerheblich ansieht. Aufgrund der Gesamtumstände ist das OLG überzeugt, dass es dem Kläger gerade darauf ankam, dass die Täuschung Einfluss auf das Regulierungsverhalten der Beklagten haben konnte. Die völlige Leistungsfreiheit der V ist auch nicht unbillig. Nur unter ganz besonderen Umständen ist der V nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) die völlige Leistungsfreiheit als rechtsmissbräuchlich zu versagen, wenn der Verlust des Versicherungsschutzes für den VN eine übermäßige Härte darstellt. Derartige Umstände sind nicht vorgetragen.

Praxishinweis

Es gibt keinen allgemeinen Erfahrungssatz, wonach eine bewusst unrichtige Antwort des VN auf eine von V gestellte Frage immer und nur in der Absicht erfolge, den Willen der V zu beeinflussen. Dennoch sollte jeder VN - auch nach seiner Ansicht unerhebliche Fragen - vollständig und richtig beantworten. Andernfalls steht stets Arglist im Raum. Bei Arglist des VN ist die Belehrung nach § 28 Abs. 4 VVG entbehrlich (BeckOK VVG/Marlow, 22. Ed., 01.02.2024, VVG § 28 Rz. 226) und die Frage, ob die Verletzung der Obliegenheit für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalls oder für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers ursächlich war, unerheblich (§ 28 Abs. 3 Satz 2 VVG). Versicherungsnehmer sollten also im Versicherungsfall vor jeder Unterschrift unter ein Protokoll der Versicherung das Protokoll sorgfältig prüfen.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bau-, Architekten- und Versicherungsrecht Dr. Jörg Schmidt, Schwerin

Erworbene Immobilie ist bereits versichert: Gebäudeversicherer muss Käufer beraten!

1. Dem Erwerber eines bebauten Grundstücks kommt bereits in der Zeit zwischen Gefahrübergang und Eigentumserwerb ein versicherbares Sacherhaltungsinteresse zu, das er dadurch versichern kann, dass er mit eigenen Rechten und Pflichten in einen bereits bestehenden Gebäudeversicherungsvertrag des Veräußerers eintritt oder einen neuen Gebäudeversicherungsvertrag abschließt. Bereits vor Gefahrübergang ist der Abschluss eines Neuvertrags durch den Erwerber als Versicherung für fremde Rechnung möglich, welche nach Gefahrübergang zur Eigenversicherung wird.*)
2. Wendet sich der Erwerber noch vor dem Eigentumserwerb an den Versicherer eines mit dem Veräußerer bestehenden Versicherungsvertrags mit dem Anliegen, die bestehende Gebäudeversicherung vorzeitig zu übernehmen und ab sofort für die Beitragszahlung aufzukommen, ist der Versicherer ihm gegenüber zur Beratung gem. § 6 Abs. 1 VVG verpflichtet. Gleiches gilt für den so kontaktierten Versicherungsvertreter gem. § 61 Abs. 1 VVG.*)
3. Im Rahmen dieser Beratung kann es auch geboten sein, dem Erwerber die Möglichkeit des Neuabschlusses einer zusätzlichen Gebäudeversicherung aufzuzeigen. Die bloße Auskunft, eine Übernahme des bestehenden Vertrags sei vor Eigentumsumschreibung nur mit Einverständnis des Versicherungsnehmers möglich, ist dann nicht ausreichend.*)

OLG Karlsruhe, Urteil vom 05.10.2023 - 12 U 66/23

BGB §§ 166249 Satz 1, § 428; VVG § 6 Abs. 1, § 61 Abs. 1, §§ 6370 Satz 1

Problem/Sachverhalt

Der Kläger (E) erwirbt eine Immobilie. Er befürchtet, dass der bisherige Eigentümer/Versicherungsnehmer (VN) die Versicherungsprämien für die Gebäudeversicherung nicht mehr bezahlt und der Versicherungsschutz erlischt. Deshalb ruft er den Versicherungsvertreter (V) des Wohngebäudeversicherers (VS) an und bittet um Umschreibung der Gebäudeversicherung vor Eigentumswechsel und ein Formular für ein Lastschriftmandat zur Fortzahlung der Versicherungsprämien. V teilt ihm mit, dass für eine vorzeitige Vertragsübernahme die Zustimmung des bisherigen VN erforderlich ist. Diese wird nicht erteilt. Der VN bezahlt eine fällige Prämie nicht. Der VS mahnt die Zahlung erfolglos gem. § 38 Abs. 1 VVG an. Ein Versicherungsfall tritt ein. Erst hiernach wird das Eigentum umgeschrieben. Der VS beruft sich auf Leistungsfreiheit gem. § 38 Abs. 2 VVG. E verlangt vom VS und V Schadensersatz in sechsstelliger Höhe.

Entscheidung

Das OLG verurteilt den VS und V als Gesamtschuldner dem Grunde nach. Der VS hätte E gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 VVG und V hätte ihn gem. § 61 Abs. 1 VVG vorvertraglich beraten müssen, für den Bestand des Versicherungsschutzes einen eigenen Gebäudeversicherungsvertrag abzuschließen. Das hat V unterlassen. Der Hinweis auf die bloße Möglichkeit einer rechtsgeschäftlichen Vertragsübernahme reicht nicht aus, um die Beratungspflicht zu erfüllen.

Praxishinweis

Im vorliegenden Fall handelte es sich um einen Vertreter des VS, einen Agenteur, dessen Falschberatung der Versicherung als eigene Falschberatung zugerechnet wird. Hätte es sich um einen Makler gehandelt, hätte E nicht die Versicherung, er hätte den Makler wegen Falschberatung verklagen müssen. Der Makler steht im Lager des Versicherungsnehmers (zur Abgrenzung s. § 59 VVG). Das ist eine Haftungsfalle für den Anwalt! Gleichviel, ob Vertreter eines Versicherers oder Makler, er muss den Kunden - anlassbezogen - richtig und umfassend beraten und das dokumentieren (Ausnahme: bei Großrisiken). Die Beratungspflicht besteht nicht nur vor Abschluss, sondern auch während des Bestehens des Vertrags.

RA und FA für Bau- und Architektenrecht, FA für Versicherungsrecht Dr. Jörg Schmidt, Schwerin