Wer haftet für Fehler eines Dritten beim Anschlagen der Last?

1. Verfügt ein Kranfahrzeug über getrennte Antriebe für die Fortbewegung und die Kranfunktion und ereignet sich beim Bewegen der Last mit dem Kranarm ein Unfall, währenddessen das Fahrzeug abgestellt ist und der Kranführer keine Einwirkungsmöglichkeiten auf die Fortbewegungsfunktion hat, so ist der dabei entstehende Schaden nicht beim Betrieb eines Kraftfahrzeugs i.S.d. § 7 Abs. 1 StVG eingetreten.*)
2. Wird nur die Überlassung des Krans mitsamt geeignetem Personal geschuldet, wird nur für Bedienfehler des Krans gehaftet, nicht jedoch für Fehler eines Dritten beim Anschlagen der Last.*)
3. Wer einen Verrichtungsgehilfen zum Anschlagen der Last abstellt, haftet im Falle eines Schadenseintritts aufgrund dessen Fehlers wegen eines Auswahlverschuldens, wenn er weder darlegt noch nachweisen kann, dass der Verrichtungsgehilfe entweder aufgrund seiner beruflichen Qualifikation oder aufgrund von Schulungen ausreichende Kenntnisse für die Durchführung derartiger gefahrgeneigter Tätigkeiten hat.*)

OLG Stuttgart, Urteil vom 18.06.2025 - 3 U 91/24

BGB § 823 Abs. 1, § 831 Abs. 1; StVG § 7 Abs. 1

Problem/Sachverhalt

A vermietet eine Zugmaschine an eine Spedition. Diese transportiert einen Druckluftwasserkessel zu einer Baustelle. B bedient für seinen Arbeitgeber C, den Halter eines Autokrans, denselben bei mit ausgefahrenen Stützfüßen abgestellter Zugmaschine. Ein Mitarbeiter der Firma D schlägt den Kessel am Kettenhaken an. Während des Hebevorgangs löst sich der Kessel und beschädigt den Sattelauflieger. A verklagt B (Kranführer), C (Halter des Autokrans), D (Arbeitgeber des "Anschlägers") und die Haftpflichtversicherung des Autokrans auf Schadensersatz.

Entscheidung

Das OLG verurteilt allein D zur Zahlung von 18.961,76 Euro nebst Nebenforderungen mit den aus den Leitsätzen ersichtlichen Begründungen. Das OLG entscheidet, dass C und die Haftpflichtversicherung des Autokrans nicht nach der straßenverkehrsrechtlichen Gefährdungshaftung (§§ 7, 17 StVG; § 115 Abs. 1 VVG; § 1 PflVG) haften. Dabei ist es unerheblich, ob sich der Unfall auf einer Baustelle außerhalb des öffentlichen Straßenraums ereignete, da das StVG keine Eingrenzung auf den öffentlichen Verkehrsraum kennt. Der Unfall ereignete sich jedoch nicht "beim Betrieb" des Kraftfahrzeugs (Kfz). Zwar setzt der Betrieb des Kfz nicht das Einschalten seines Motors voraus, jedoch muss bei einem Kfz mit Arbeitsfunktionen die Fortbewegungs- und Transportfunktion noch eine Rolle spielen, das Kfz darf nicht nur noch als Arbeitsmaschine eingesetzt werden. Das war hier aber der Fall. B und C haften mangels Verschuldens auch nicht gem. § 823 Abs. 1, § 831 Abs. 1 BGB, § 115 Abs. 1 VVG. Ursache des Absturzes war nach dem eindeutigen Ergebnis der Beweisaufnahme ein Herausrutschen des Kettenhakens aus der Aufnahmeöse infolge unsachgemäßen Anschlagens durch den Mitarbeiter des D. Also haftet D gem. § 823 Abs. 1, § 831 BGB. Er hat den Entlastungsbeweis gem. § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht geführt.

Praxishinweis

In versicherungsrechtlicher Hinsicht verdeutlicht die lesenswerte Entscheidung, dass für die straßenverkehrsrechtliche Gefährdungshaftung der Schadensablauf durch den "Betrieb" des Kraftfahrzeugs geprägt sein muss (z.B. BGH, Urteil vom 18.07.2023 - VI ZR 16/23, Rz. 13, IBRRS 2023, 2792). Die Frage, wann haftungsrechtlich nur noch die Funktion als Arbeitsmaschine infrage steht, ist im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände zu beurteilen. Das OLG führt aus, dass eine haftungsbegründende Verbindung mit dem "Betrieb" als Kraftfahrzeug vorliegen kann, wenn eine "fahrbare Arbeitsmaschine" gerade während der Fahrt bestimmungsgemäß Arbeiten verrichtet.

RA und FA für Bau- und Architektenrecht, FA für Versicherungsrecht Dr. Jörg Schmidt, Schwerin 

Nachbarwiderspruch: in der Regel kein Eilrechtsschutz

Der Nachbar hat gegen eine erteilte Baugenehmigung nur dann einen Anspruch auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruches, wenn eine umfassende Abwägung der Interessen des Bauherrn an einer sofortigen Ausnutzung der erteilten Baugenehmigung und des Nachbarn, von der Vollziehung der Baugenehmigung bis zur Entscheidung in der Hauptsache verschont zu bleiben, ergibt, dass die Interessen des Nachbarn überwiegen.

OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 13.02.2025 – 2 B 35/24

VwGO § 80 Abs. 5 Satz 1, § 80a Abs. 3, BauGB § 212a Abs. 1, BauNVO § 15 Abs. 1 Satz 2, § 6, LBO-SH § 63

 

Problem/Sachverhalt

Der Nachbar (N) betreibt in vierter Generation eine Zimmerei auf seinem Grundstück im unbeplanten Innenbereich. Die Stadt erteilt dem B für ein angrenzendes Grundstück eine Baugenehmigung für ein Mehrfamilienhaus. N befürchtet, dass sich Nutzer des Grundstücks des B über den Betriebslärm beschweren könnten. Also legt N bei der Stadt Widerspruch gegen die Baugenehmigung ein und beantragt beim Verwaltungsgericht, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs anzuordnen.

 

Entscheidung

Ohne Erfolg! Mit § 212a Abs. 1 BauGB, nach dem Widersprüche gegen Baugenehmigungen keine aufschiebende Wirkung haben, hat der Gesetzgeber dem Bauverwirklichungsinteresse grds. den Vorrang eingeräumt. Die aufschiebende Wirkung kann nur angeordnet werden, wenn die Rechtsposition des N durch den Bau und die Nutzung des genehmigten Vorhabens überwiegend wahrscheinlich unerträglich oder in einem nicht wiedergutzumachenden Maße beeinträchtigt bzw. gefährdet wird. Das ist nicht der Fall. N kann sich nicht auf einen Gebietserhaltungsanspruch berufen. Danach kann ein Nachbar das Eindringen eines der Nutzungsart nach unzulässigen Bauvorhabens in das Baugebiet abwehren, wenn das Vorhaben mit der Gebietsart unvereinbar ist. Es gibt keinen Bebauungsplan. Die Zuordnung zu einem faktischen Baugebiet im Sinne des § 34 Abs. 2 BauGB ist fraglich. In der näheren Umgebung befinden sich viele Wohngebäude. Deshalb spricht einiges dafür, die nähere Umgebung als Gemengelage zu qualifizieren. Bei einer Gemengelage besteht von vornherein kein Gebietserhaltungsanspruch. Selbst wenn ein faktisches Mischgebiet nach § 6 BauNVO vorläge, wäre in diesem die Wohnnutzung allgemein zulässig. Es ist nicht ersichtlich, dass durch die Zulassung einer weiteren Wohnnutzung der Wohngebietscharakter „kippen“ könnte. Auch das Gebot der Rücksichtnahme ist nicht verletzt, da die heranrückende Wohnbebauung keinen unzumutbaren Immissionen im Sinne von § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO und § 6 BauNVO ausgesetzt sein wird und Konflikte nicht verschärft oder begründet werden. Aufgrund der konkreten örtlichen Gegebenheiten besteht eine spezifische gegenseitige Pflicht zur Rücksichtnahme, die zu einer Duldungspflicht desjenigen führt, der sich solchen Immissionen aussetzt (BVerwG, Urteil vom 29.11.2012 – 4 C 8/11 – Rn. 16, juris). Das Vorhaben muss daher vor seiner Realisierung vorhandene Belastungen hinnehmen und stärkere Belastungen durch mögliche und zumutbare Maßnahmen der „architektonischen Selbsthilfe“, etwa in Bezug auf die Stellung des Gebäudes auf dem Grundstück, vermeiden. N kann jedoch nicht verlangen, dass der Nachbar Fenster einer bestimmten Schallschutzklasse einbaut. Festsetzungen zu passiven Schallschutzmaßnahmen mögen bei der Aufstellung von Bebauungsplänen erforderlich sein und dann auch nachbarschützende Wirkung haben, wenn von ihnen eine Ausnahme erteilt oder befreit wird. Hier muss der Zimmererbetrieb jedoch bereits jetzt Rücksicht auf die vorhandene Wohnbebauung in seiner Nähe nehmen. Das neue Wohnbauvorhaben rückt nicht näher an sein Grundstück heran als die vorhandene Wohnbebauung. Insoweit gilt für B dasselbe wie für die bereits vorhandenen Nachbarn. B hat keinen Abwehranspruch gegen die bislang zulässigen Immissionen. Welche architektonischen Selbsthilfemaßnahmen B ergreift, kann sich deshalb nicht aus dem Rücksichtnahmegebot ergeben.

 

Praxishinweis

Die umfassende Interessenabwägung ergibt in der Regel einen Vorrang der Interessen des Bauherrn vor denen des Nachbarn. Selbst die objektive Rechtswidrigkeit der angefochtenen Baugenehmigung allein führt nicht zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs. Vielmehr muss der Nachbar in subjekt-öffentlichen Nachbarrechten verletzt sein. Die Baugenehmigung ist also allein daraufhin zu untersuchen, ob sie gegen Vorschriften verstößt, die dem Schutz des um Rechtsschutz nachsuchenden Nachbarn dienen. Das muss der Anwalt des Nachbarn prüfen und begründen.

 

gez. Dr. Jörg Schmidt Fachanwalt für Bau-, Architekten- und Versicherungsrecht, Schwerin

Abrechnung direkt mit der Versicherung vereinbart: Auftraggeber ist nicht "aus allem raus"!

1. Der Auftraggeber einer Werk- oder Bauleistung wird nicht deshalb von seiner Pflicht zur Zahlung des vereinbarten Werklohns frei, weil er mit dem Unternehmer vereinbart hat: "Der Auftraggeber tritt hiermit seine Versicherungsansprüche gegen nachstehenden Versicherer aus dem Schadensfall in Höhe des Werklohnanspruchs für die zu erbringenden Dienstleistungen an den Unternehmer ab, der die Abtretung annimmt. Der Unternehmer ist berechtigt, die erbrachten Leistungen direkt mit der Versicherung unter der o. g. Schadensnummer abzurechnen. Die Abtretungsvereinbarung bezieht sich auf die Höhe der vom Versicherer freigegebenen Dienstleistung. Soweit der Versicherer den Gesamtrechnungsbetrag aufgrund einer Unterversicherung oder einer Vorsteuerabzugsberechtigung nicht reguliert, wird dieser Differenzbetrag vom Auftraggeber ausgeglichen."
2. Auch wenn in einem Vertragsformular die auszuführenden Arbeiten nicht konkret beschrieben werden, ist der Werkvertrag wirksam, wenn die zu erbringenden Werkleistungen jedenfalls im Nachhinein im Einzelnen vereinbart werden.

OLG Koblenz, Urteil vom 23.07.2024 - 3 U 245/24

BGB §§ 133157305c364631

Problem/Sachverhalt

Das Gebäude des Auftraggebers (AG) wird vom Ahr-Hochwasser beschädigt. Der AG unterschreibt einen Bauauftrag für den Unternehmer (U). Unter der Überschrift "Auftrag und Abtretungserklärung" finden sich die in Leitsatz 1 zitierten Klauseln. U stimmt die konkret auszuführenden Arbeiten mit dem Versicherer (V) ab. U führt die Arbeiten aus. Sein Werk wird abgenommen und ist mangelfrei. V bezahlt nur einen Teil der geprüften Schlussrechnung des U. Der AG meint, U müsse sich wegen der fehlenden Zahlungen an V halten. Das Landgericht weist die Zahlungsklage des U gegen den AG ab. Der AG sei nicht passiv legitimiert.

Entscheidung

Das OLG verurteilt den AG durch Grundurteil zur Zahlung. Zur Höhe fehlt eine erforderliche Beweisaufnahme. Der AG ist Vertragspartner des U. Der Werkvertrag ist wirksam. Zur Begründung ist auf Leitsatz 2 zu verweisen. Der AG ist durch die Abtretungsklausel nicht von der Pflicht zur Zahlung des Werklohns frei geworden. Denn diese vertragliche Regelung ist als Abtretung erfüllungshalber zu verstehen, nicht als eine den Beklagten befreiende Abtretung an Erfüllungs statt. Das ergibt die Auslegung des Vertragstextes (Leitsatz 1). Wortlaut, Interessenlage, Verkehrssitte und Gesamtschau ergeben, dass die Abtretung keine Erfüllungshandlung (Abtretung an Erfüllungs statt), sondern eine Abkürzung des Zahlungswegs (Abtretung erfüllungshalber) beinhaltet. Zudem ist § 364 BGB ein allgemeiner Rechtsgedanke zu entnehmen, wonach die Abtretung eines gegen einen Dritten gerichteten Anspruchs an den Gläubiger eine Leistung erfüllungshalber ist (MüKoBGB/Fetzer, 9. Aufl., § 364 Rz. 9 m.w.N.). Die Klausel ist auch nicht intransparent (§ 305c Abs. 2 BGB). Sie regelt unzweideutig eine Abtretung erfüllungshalber. Der Werklohn ist fällig. Nach erfolgloser außergerichtlicher Geltendmachung des Anspruchs gegenüber V ist die mit der Abtretung erfüllungshalber vereinbarte Stundung entfallen.

Praxishinweis

Die von den Parteien nicht thematisierte Frage, ob die Abtretungsklausel als Allgemeine Geschäftsbedingung überhaupt wirksam war (wegen möglichen Verstoßes gegen das Transparenzgebot und wegen der fehlenden Erkennbarkeit, unter welchen Voraussetzungen der AG von U trotz Abtretung weiterhin aus dem Werkvertrag in Anspruch genommen werden kann und welche Rechte der AG im Zusammenhang mit der Abtretung hat), bedurfte keiner Entscheidung. Die Parteien hätten auch vereinbaren können, dass ein Rückgriff auf den AG nur zulässig ist, wenn die Durchsetzung der Forderung gegen V ausdrücklich "nicht möglich" war. Dann hätte U gegen V erfolglos klagen und zwangsvollstrecken müssen, bevor er den AG in Anspruch hätte nehmen dürfen (BGH, Urteil vom 23.01.2024 - VI ZR 357/22IBRRS 2024, 1103).

RA und FA für Bau- und Architektenrecht, FA für Versicherungsrecht Dr. Jörg Schmidt, Schwerin 

Keine Nutzung ohne Baugenehmigung!

1. Das Fehlen der Baugenehmigung rechtfertigt in der Regel die Nutzungsuntersagung.
2. Eine formell rechtswidrige Nutzung darf nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ausnahmsweise nicht untersagt werden, wenn sie offensichtlich genehmigungsfähig bzw. bei verfahrensfreien Vorhaben offensichtlich zulässig ist.

OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 20.03.2025 - 1 MB 3/25

BauGB § 35, LBO-SH §§ 58, 80 Satz 2

Problem/Sachverhalt

Ein Betrieb für Sanitär/Heizung/Lüftung erwirbt im Außenbereich ein vormals landwirtschaftlich genutztes, bebautes Grundstück. Er beantragt einen Bauvorbescheid und erhält ihn, stellt aber zunächst keinen Bauantrag. Er nimmt das Grundstück in Nutzung: Büros, Lagerplätze innen und außen sowie Stellplätze. Der Bauvorbescheid erfasst nur einen Teil der genutzten Anlagen. Dann stellt der Betrieb einen Bauantrag, allerdings zunächst nur für die im Bauvorbescheid genannten Bestandteile des Grundstücks. Die zuständige Baubehörde untersagt die Nutzung des Grundstücks und ordnet die Räumung von Lagerflächen und die sofortige Vollziehung an. Der Betrieb legt Widerspruch ein und beantragt im einstweiligen Verfahren die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs. Das Verwaltungsgericht lehnt den Antrag ab. Dagegen erhebt der Betrieb Beschwerde.

Entscheidung

Ohne Erfolg! Gemäß § 58 Abs. 2 LBO-SH hat die Bauaufsichtsbehörde bei der Errichtung, Änderung, Nutzungsänderung und Beseitigung sowie bei der Nutzung und Instandhaltung von Anlagen darüber zu wachen, dass die öffentlich-rechtlichen Vorschriften eingehalten werden. Dazu kann sie die Nutzung untersagen. Ist das Bauvorhaben formell illegal, rechtfertigt schon allein das die Nutzungsuntersagung. Zwar entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Senats, dass eine formell rechtwidrige Nutzung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ausnahmsweise dann nicht untersagt werden darf, wenn sie offensichtlich genehmigungsfähig bzw. bei verfahrensfreien Vorhaben offensichtlich zulässig ist, jedoch liegt ein solcher Fall nicht vor. Eine offensichtliche Genehmigungsfähigkeit liegt nur vor, wenn die Bauaufsichtsbehörde ohne weitere Ermittlungen erkennen kann, dass die bauliche Anlage und ihre Nutzung dem öffentlichen Baurecht entsprechen, es muss geradezu handgreiflich sein und keiner näheren Prüfung bedürfen, dass der vom Bauherrn gewünschte Zustand dem öffentlichen Baurecht vollständig entspricht. Ein Bauantrag muss gestellt sein. Der Betrieb hat zwar einen Bauantrag gestellt, inzwischen auch einen, der alle Anlagen erfasst, es ist jedoch nicht handgreiflich, dass der Zustand dem öffentlichen Baurecht vollständig entspricht. So steht die Stellungnahme der Unteren Naturschutzbehörde zu den beantragten Stellplätzen offen. Es fehlt eine schlüssige Darstellung der Standortwahl für 20 Stellplätze zur Prüfung durch die Untere Naturschutzbehörde. Auch betriebliche Schwierigkeiten des Betriebs für die Suche nach Zwischenlagern etc. rechtfertigt keine andere Beurteilung. Der Betrieb trägt das wirtschaftliche Risiko der baurechtswidrigen Nutzung. Die drohende Insolvenz des Betriebs ändert nichts, da ein gesetzesuntreuer Bürger, der keinen Bauantrag stellt, keine Nutzungsvorteile gegenüber einem Bürger erhält, der das erforderliche Genehmigungsverfahren betreibt.

Praxishinweis

Ein Vorbescheid bestätigt lediglich die bauplanungsrechtliche, nicht aber die bauordnungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens, ist eben keine Baugenehmigung. Eine solche muss zum Beginn der Nutzung vorliegen. Andernfalls droht die Nutzungsuntersagung. Der Eigentümer soll durch die Nutzungsuntersagung zu einem Bauantrag bewegt werden. Hat er den Bauantrag bereits gestellt, hilft ihm das aber auch nur, wenn dieser offensichtlich zu genehmigen ist. Das ist in der Regel erst zum Ende eines Bauantragsverfahrens beurteilbar, da beispielsweise die Gemeinde oder auch die Untere Naturschutzbehörde ihr Einvernehmen geben müssen.

RA und FA für Bau- und Architektenrecht, FA für Versicherungsrecht Dr. Jörg Schmidt, Schwerin 

(Unerhebliche) Antragsfrage falsch beantwortet: Versicherung muss nicht zahlen!

1. Eine vorsätzliche Obliegenheitsverletzung wegen der Falschbeantwortung einer Antragsfrage (hier: zur Abgabe einer Vermögensauskunft) liegt auch dann vor, wenn der Versicherungsnehmer diese falsch beantwortet, weil er den erfragten Umstand für unerheblich hält.*)
2. Die Berufung auf Treu und Glauben trotz einer arglistigen Täuschung durch den Versicherungsnehmer kommt nur dann in Betracht, wenn die Täuschung nur einen geringen Teil des versicherten Schadens betrifft und weitere Billigkeitsmomente zu Gunsten des Versicherungsnehmers zu berücksichtigen sind.*)

OLG Dresden, Beschluss vom 18.04.2024 -  4 U 67/24

BGB § 242; VVG § 28

Problem/Sachverhalt

Der Versicherungsnehmer (VN) verlangt von seiner Kaskoversicherung (V) 10.000 Euro wegen des Diebstahls eines Quads. Gemäß den auf den Vertrag anwendbaren E.1.1.3 AKB ist vereinbart: "Sie müssen unsere Fragen zu den Umständen des Schadensereignisses, zum Umfang des Schadens und zu unserer Leistungspflicht wahrheitsgemäß und vollständig beantworten." V befragt den VN telefonisch. Auf die Frage, ob der VN die Vermögensauskunft - aufgeführt ist auch die Nichtabgabe der beantragten Vermögensauskunft - abgegeben habe, antwortet der VN: "Nein. So etwas habe ich nicht". Auf die Frage, warum die Finanzierung des Kaufs durch eine andere Person erfolgte, antwortet der VN: "Ich wollte einfach keine Finanzierung haben. Ich mag das nicht." und an anderer Stelle "Es ist richtig, dass ich bei Banken o. Ä. keinen Kredit erhalten hätte." Das zugesandte Protokoll der V über den Inhalt des Telefonats mit Belehrung nach § 28 Abs. 4 VVG unterschreibt der VN. Im Schuldnerverzeichnis des Amtsgerichts ist die Nichtabgabe der Vermögensauskunft durch den VN vermerkt. V versagt den Versicherungsschutz. Das Landgericht weist die Klage des VN ab.

Entscheidung

Das OLG erteilt den Hinweis, die Berufung des VN gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückweisen zu wollen. V ist gem. § 28 Abs. 2 Satz 1 VVG leistungsfrei. Der VN hat im Zusammenhang mit der Antwort zur Nichtabgabe der Vermögensauskunft vorsätzlich eine Obliegenheit verletzt. Der VN hat auf die Frage der V vorsätzlich verschwiegen, dass er die Abgabe der Vermögensauskunft verweigerte. Zwar trägt V die Beweislast für den Vorsatz, der VN muss jedoch die zur Obliegenheitsverletzung führenden Umstände, die seiner Sphäre angehören, also die Gründe für objektive Falschangaben, nachprüfbar dartun (OLG Gelle, Urteil vom 30.11.2017 -  8 U 27/17). Die Frage war eindeutig. Der Kläger hat auch nach der Übersendung des Protokolls trotz der ihm damit eröffneten erneuten Möglichkeit zur Richtigstellung das Protokoll unterzeichnet. Das Verschweigen war arglistig. Arglist liegt vor, wenn der VN bewusst und willentlich auf die Entscheidung der V einwirkt, wenn er also vorsätzlich eine Obliegenheit verletzt und dabei bewusst gegen die Interessen der V verstößt, weil er damit rechnet, dass seine Obliegenheitsverletzung Einfluss auf die Feststellung des Versicherungsfalls oder die Leistungspflicht der V oder deren Umfang hat oder haben kann. Es ging dem VN mit seinen widersprüchlichen Angaben an unterschiedlichen Stellen zu den Fragen, warum die Finanzierung durch eine andere Person erfolgte und nach der Vermögensauskunft darum, die Regulierung zu beschleunigen und weitere Nachforschungen hinsichtlich seiner finanziellen Situation zu vermeiden. Eine zulässige und eindeutig verständliche Frage hat er auch dann zu beantworten, wenn er den erfragten Umstand für sich als unerheblich ansieht. Aufgrund der Gesamtumstände ist das OLG überzeugt, dass es dem Kläger gerade darauf ankam, dass die Täuschung Einfluss auf das Regulierungsverhalten der Beklagten haben konnte. Die völlige Leistungsfreiheit der V ist auch nicht unbillig. Nur unter ganz besonderen Umständen ist der V nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) die völlige Leistungsfreiheit als rechtsmissbräuchlich zu versagen, wenn der Verlust des Versicherungsschutzes für den VN eine übermäßige Härte darstellt. Derartige Umstände sind nicht vorgetragen.

Praxishinweis

Es gibt keinen allgemeinen Erfahrungssatz, wonach eine bewusst unrichtige Antwort des VN auf eine von V gestellte Frage immer und nur in der Absicht erfolge, den Willen der V zu beeinflussen. Dennoch sollte jeder VN - auch nach seiner Ansicht unerhebliche Fragen - vollständig und richtig beantworten. Andernfalls steht stets Arglist im Raum. Bei Arglist des VN ist die Belehrung nach § 28 Abs. 4 VVG entbehrlich (BeckOK VVG/Marlow, 22. Ed., 01.02.2024, VVG § 28 Rz. 226) und die Frage, ob die Verletzung der Obliegenheit für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalls oder für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers ursächlich war, unerheblich (§ 28 Abs. 3 Satz 2 VVG). Versicherungsnehmer sollten also im Versicherungsfall vor jeder Unterschrift unter ein Protokoll der Versicherung das Protokoll sorgfältig prüfen.

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bau-, Architekten- und Versicherungsrecht Dr. Jörg Schmidt, Schwerin