Erworbene Immobilie ist bereits versichert: Gebäudeversicherer muss Käufer beraten!
1. Dem Erwerber eines bebauten Grundstücks kommt bereits in der Zeit zwischen Gefahrübergang und Eigentumserwerb ein versicherbares Sacherhaltungsinteresse zu, das er dadurch versichern kann, dass er mit eigenen Rechten und Pflichten in einen bereits bestehenden Gebäudeversicherungsvertrag des Veräußerers eintritt oder einen neuen Gebäudeversicherungsvertrag abschließt. Bereits vor Gefahrübergang ist der Abschluss eines Neuvertrags durch den Erwerber als Versicherung für fremde Rechnung möglich, welche nach Gefahrübergang zur Eigenversicherung wird.*)
2. Wendet sich der Erwerber noch vor dem Eigentumserwerb an den Versicherer eines mit dem Veräußerer bestehenden Versicherungsvertrags mit dem Anliegen, die bestehende Gebäudeversicherung vorzeitig zu übernehmen und ab sofort für die Beitragszahlung aufzukommen, ist der Versicherer ihm gegenüber zur Beratung gem. § 6 Abs. 1 VVG verpflichtet. Gleiches gilt für den so kontaktierten Versicherungsvertreter gem. § 61 Abs. 1 VVG.*)
3. Im Rahmen dieser Beratung kann es auch geboten sein, dem Erwerber die Möglichkeit des Neuabschlusses einer zusätzlichen Gebäudeversicherung aufzuzeigen. Die bloße Auskunft, eine Übernahme des bestehenden Vertrags sei vor Eigentumsumschreibung nur mit Einverständnis des Versicherungsnehmers möglich, ist dann nicht ausreichend.*)
OLG Karlsruhe, Urteil vom 05.10.2023 - 12 U 66/23
BGB §§ 166, 249 Satz 1, § 428; VVG § 6 Abs. 1, § 61 Abs. 1, §§ 63, 70 Satz 1
Problem/Sachverhalt
Der Kläger (E) erwirbt eine Immobilie. Er befürchtet, dass der bisherige Eigentümer/Versicherungsnehmer (VN) die Versicherungsprämien für die Gebäudeversicherung nicht mehr bezahlt und der Versicherungsschutz erlischt. Deshalb ruft er den Versicherungsvertreter (V) des Wohngebäudeversicherers (VS) an und bittet um Umschreibung der Gebäudeversicherung vor Eigentumswechsel und ein Formular für ein Lastschriftmandat zur Fortzahlung der Versicherungsprämien. V teilt ihm mit, dass für eine vorzeitige Vertragsübernahme die Zustimmung des bisherigen VN erforderlich ist. Diese wird nicht erteilt. Der VN bezahlt eine fällige Prämie nicht. Der VS mahnt die Zahlung erfolglos gem. § 38 Abs. 1 VVG an. Ein Versicherungsfall tritt ein. Erst hiernach wird das Eigentum umgeschrieben. Der VS beruft sich auf Leistungsfreiheit gem. § 38 Abs. 2 VVG. E verlangt vom VS und V Schadensersatz in sechsstelliger Höhe.
Entscheidung
Das OLG verurteilt den VS und V als Gesamtschuldner dem Grunde nach. Der VS hätte E gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 VVG und V hätte ihn gem. § 61 Abs. 1 VVG vorvertraglich beraten müssen, für den Bestand des Versicherungsschutzes einen eigenen Gebäudeversicherungsvertrag abzuschließen. Das hat V unterlassen. Der Hinweis auf die bloße Möglichkeit einer rechtsgeschäftlichen Vertragsübernahme reicht nicht aus, um die Beratungspflicht zu erfüllen.
Praxishinweis
Im vorliegenden Fall handelte es sich um einen Vertreter des VS, einen Agenteur, dessen Falschberatung der Versicherung als eigene Falschberatung zugerechnet wird. Hätte es sich um einen Makler gehandelt, hätte E nicht die Versicherung, er hätte den Makler wegen Falschberatung verklagen müssen. Der Makler steht im Lager des Versicherungsnehmers (zur Abgrenzung s. § 59 VVG). Das ist eine Haftungsfalle für den Anwalt! Gleichviel, ob Vertreter eines Versicherers oder Makler, er muss den Kunden - anlassbezogen - richtig und umfassend beraten und das dokumentieren (Ausnahme: bei Großrisiken). Die Beratungspflicht besteht nicht nur vor Abschluss, sondern auch während des Bestehens des Vertrags.
RA und FA für Bau- und Architektenrecht, FA für Versicherungsrecht Dr. Jörg Schmidt, Schwerin
Verjährung des Deckungsanspruchs des Architekten in der Berufshaftpflichtversicherung
1. Die Verjährungsfrist für Ansprüche der Architekten gegen die Berufshaftpflichtversicherung auf Deckung beginnt mit dem Schluss des Jahres zu laufen, in dem der Bauherr gegen den Architekten ernsthaft Ansprüche wegen Planungs- oder Überwachungsfehlern geltend macht.
2. Die Verjährung ist von der Anmeldung des Anspruchs bis zum Eingang der Ablehnung der Einstandspflicht gehemmt.
3. Der Begriff der verjährungshemmenden "Verhandlungen" ist weit auszulegen. Verhandlungen schweben bereits dann, wenn eine der Parteien Erklärungen abgibt, die der jeweils anderen die Annahme gestatten, der Erklärende lasse sich auf Erörterungen über die Berechtigung des Anspruchs oder dessen Umfang ein. Notwendig ist ein zweiseitiger kommunikativer Prozess, sodass das Angebot zu Verhandlungen oder gar Vorschläge zu einem konkreten Entgegenkommen noch keine Verhandlung sind, wenn es bzw. sie unerwidert bleiben.
4. Ein verjährungshemmendes Stillhalteabkommen ist nur anzunehmen, wenn der Schuldner auf Grund einer rechtsgeschäftlichen Vereinbarung berechtigt sein soll, vorübergehend die Leistung zu verweigern und der Gläubiger sich der Möglichkeit begeben hat, seine Ansprüche jederzeit weiterzuverfolgen.
5. Ein verjährungshemmendes Stillhalteabkommen kann auch "stillschweigend" durch zu würdigendes schlüssiges Verhalten getroffen werden. Hierfür muss ein äußeres Verhalten festgestellt werden, das nach §§ 133, 157 BGB als Ausdruck einer solchen einvernehmlichen Entschließung ausgelegt werden kann.
KG, Beschluss vom 13.01.2023 - 6 U 191/21
BGB §§ 133, 157, 195, 199, 203, 204; VVG a.F. § 12
Problem/Sachverhalt
Ein Auftraggeber verlangt anwaltlich vertreten vom Architekten (A) mit Schreiben vom 14.4.2008 Schadensersatz (mehr als 500.000,00 €). Seine Berufshaftpflichtversicherung (VS) lehnt die Deckung am 15.5.2009 und 2.10.2012 ab. A erhebt am 18.11.2013 Deckungsklage. Am Schluss der mündlichen Verhandlung am 19.12.2014 beraumt das Landgericht (LG) Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf den 13.2.2015 an. Das LG ordnet auf Antrag des A mit Zustimmung des VS am 30.1.2015 das Ruhen des Verfahrens an. Am 28.4.2015 und 31.3.2020 schreibt A VS an. Mit Schreiben vom 30.4.2020 lehnt VS die Deckung ab. VS erhebt die Einrede der Verjährung. Am 28.10.2020 beantragt A die Fortsetzung des Rechtsstreits. Das LG weist die Klage wegen Verjährung ab.
Entscheidung
Das KG beabsichtigt, die Berufung zurückzuweisen. Der Deckungsanspruch war am 28.10.2020 sogar gemäß § 195 BGB verjährt. Die Verjährungsfrist beginnt mit dem Schluss des Jahres der Fälligkeit des Anspruchs zu laufen, also nachdem der Gläubiger gegen den Versicherungsnehmer Haftpflichtansprüche ernsthaft geltend gemacht hat, hier mit Ablauf des 31.12.2008. Die Verjährungsfrist war für die Dauer bis zur Mitteilung des Ergebnisses der Leistungsprüfung, also bis spätestens zum 2.10.2012, gehemmt. Am 18.11.2013 wurde die Verjährungsfrist durch Klageerhebung gehemmt. Sie begann erneut 6 Monate nach dem Beschluss des LG vom 30.1.2015 über das Ruhen des Verfahrens zu laufen (§ 204 Abs. 2 S. 3 i.V.m. S. 1 BGB). Weder vorher noch hinterher gab es schwebende, zweiseitige Verhandlungen gemäß § 203 BGB. Zudem ist § 203 BGB nicht anwendbar, wenn die Verjährung bereits durch Rechtsverfolgung gehemmt ist. A hat kein Stillhalteabkommen bewiesen. Das Erheben der Einrede der Verjährung ist nicht treuwidrig. Die Zustimmung zum Ruhen des Verfahrens ist kein Verzicht auf die Einrede.
Praxishinweis
Der Anwalt des A kann schadensersatzpflichtig und A im Ergebnis doch noch schadensfrei sein. Der Anwalt hat die Verjährungsfristen zu beachten und ggf. für eine weitere Hemmung der Verjährungsfrist zu sorgen. Durch das Anordnen des Ruhens des Verfahrens wird die Verjährungsfrist lediglich für 6 Monate nach dem Beschluss gehemmt. Dann beginnt sie erneut zu laufen (ebenso: LG Karlsruhe, Urteil vom 11.02.2009 - Az. 1 S 91/07). In Ausnahmefällen kann die Verjährungseinrede treuwidrig sein (vgl. BGH, Urteil vom 21.06.2001 – IX ZR 215/12).
gez. Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bau-, Architekten- und Versicherungsrecht Dr. Jörg Schmidt, Schwerin
1. Sehen die Bedingungen des Versicherers die Durchführung eines Sachverständigenverfahrens vor, kann der Versicherungsnehmer zunächst auf Feststellung der Ersatzpflicht klagen; auf eine Leistungsklage muss er sich dann nicht verweisen lassen (Anschluss an BGH, Urteil vom 13.04.2022 - IV ZR 60/20, IBRRS 2022, 1345.*)
2. Eine Auskunftsobliegenheit in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen, die den Versicherungsnehmer verpflichtet, "jede Auskunft auch in Schriftform zu erteilen", umfasst nicht die Verpflichtung zur Erteilung von Vollmachten zur Akteneinsicht in behördliche Unterlagen.*)
3. Unzureichende oder ausweichende Antworten auf eine Anfrage des Versicherers, die die Grenze zur Antwortverweigerung nicht überschreiten, können abhängig von den Umständen des Einzelfalls eine lediglich leicht fahrlässige Obliegenheitsverletzung darstellen, die eine Leistungskürzung nicht rechtfertigt.*)
OLG Dresden, Urteil vom 11.10.2022 - 4 U 36/22
VGB 2008 §§ 7, 12; VVG § 81; ZPO § 256
Problem/Sachverhalt
Der Versicherungsnehmer (VN) schließt bei der Gebäudeversicherung (VS) im Jahr 2012 eine gewerbliche Versicherung zum Neuwert mit Zeitwertvorbehalt ab. Nach dem Vertrag kann der VN verlangen, dass die Höhe des Schadens in einem Sachverständigenverfahren festgestellt wird. Der VN wiederum muss der VS als Obliegenheit im Rahmen des Zumutbaren Auskünfte zur Feststellung des Versicherungsfalls oder des Umfangs der Leistungspflicht schriftlich erteilen. Im Oktober 2015 wird das Gebäude durch Brandstiftung beschädigt. Die VS zahlt 25.000 Euro, übersendet dem VN einen umfangreichen Fragenkatalog und eine Checkliste und bittet ebenso wie der von ihr eingeschaltete Sachverständige (SV) um eine Vollmacht zur Kontaktaufnahme u. a. mit dem Bauamt. Der VN antwortet auf die Fragen, lehnt aber eine generelle Vollmacht ab. Die VS lehnt die Deckung wegen vorsätzlicher Obliegenheitsverletzungen ab. Der VN klagt auf Feststellung, dass die VS verpflichtet ist, weitere 1.376.000 Euro zu regulieren.
Entscheidung
Zur Zulässigkeit des Feststellungsantrags verweist das OLG auf den BGH (Urteil vom 13.04.2022 - IV ZR 60/20, IBRRS 2022, 1345) und verurteilt die VS zur vollständigen Regulierung - allerdings nur nach dem Zeitwert und ohne die geltend gemachten Verzugsschäden (und ohne den Urteilsbetrag zu nennen). Der VN hat keine Obliegenheit verletzt. Er war nicht zur Erteilung einer schriftlichen Vollmacht verpflichtet. Bei der Auslegung Allgemeiner Versicherungsbedingungen kommt es darauf an, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie versteht. Nach dem Wortlaut der Versicherungsbedingung besteht keine Pflicht zur Vollmachtserteilung. Der VN hat zudem die gestellten Fragen beantwortet. Dass die Antworten für die VS unbefriedigend oder unzureichend waren, ist unerheblich, da die Grenze zur Antwortverweigerung nicht überschritten ist. Die Nichtbeantwortung der Fragen des SV bzw. die Nichtbesorgung der Unterlagen ist eine nur leicht fahrlässige Obliegenheitsverletzung. In diesem Fall mag der VN sich allenfalls über den Umfang seiner Verpflichtung geirrt haben, er hat sich aber weder vollständig geweigert, weitere Auskünfte zu erteilen, noch ins Blaue hinein falsche Angaben gemacht.
Praxishinweis
Hier hatten der VN und die VS bereits wegen der Inhaltsversicherung zur Neuwertspitze miteinander gestritten (OLG Dresden, IBR 2021, 49). Auch in diesem Rechtsstreit war die Frage der Zulässigkeit eines Feststellungsantrags streitgegenständlich, ob es darauf ankommt, dass der VN die Ersatzbeschaffung bereits sichergestellt hat. Das OLG Dresden urteilte abweichend von der Rechtsprechung des OLG Köln (VersR 2018, 1248) zu Gunsten des VN.
RA und FA für Bau- und Architektenrecht, FA für Versicherungsrecht Dr. Jörg Schmidt, Schwerin
Geringfügiger Belehrungsfehler: Widerspruch ist treuwidrig!
Die Ausübung des Widerspruchsrechts gem. § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. (hier: Fassung vom 13.07.2001) verstößt gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB), wenn ein geringfügiger Belehrungsfehler vorliegt, durch den dem Versicherungsnehmer nicht die Möglichkeit genommen wird, sein Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben (hier: Schriftform statt Textform).*)
BGH, Urteil vom 15.02.2023 - IV ZR 353/21
BGB § 242; VVG a.F. § 5a Abs. 1 Satz 1
Problem/Sachverhalt
Beim früher verbreiteten, teilweise für gemeinschaftsrechtswidrig gehaltenen "Policenmodell" erhielt der Versicherungsnehmer (VN) die Vertragsunterlagen mit den AVB und Verbraucherinformationen erst zusammen mit dem vom Versicherer (V) übermittelten Versicherungsschein. Zwischen dem 29.07.1994 und dem 31.12.2007 so geschlossene Versicherungsverträge können zeitlich unbegrenzt durch einen Widerspruch gem. § 5a VVG a.F. widerrufen werden, wenn die Widerspruchsbelehrung fehlt oder unwirksam ist. Der Widerspruch wirkt rückwirkend. V muss (außer beim Todesfallschutz) die gezahlten Prämien (zuzüglich gezogener Nutzungen) wegen ungerechtfertigter Bereicherung zurückzahlen. Drei VN schlossen Ende 2002 so bei V drei fondsgebundene Lebens- bzw. Rentenversicherungen ab. Die Widerrufsbelehrungen lauten: "Der Vertrag gilt ... als abgeschlossen, wenn Sie nicht innerhalb von 14 Tagen nach Erhalt der genannten Unterlagen schriftlich widersprechen. ... Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs an uns." Zunächst kündigen, dann widerrufen die drei VN die Verträge und verlangen die Rückzahlung von insgesamt 23.373,84 Euro. Zur Begründung führen sie an, dass seit dem 01.08.2001 nicht mehr Schrift-, sondern nur noch Textform für den Widerruf vorgeschrieben war, die Widerrufsbelehrungen deshalb unwirksam waren.
Entscheidung
Die VN verlieren in allen drei Instanzen. Es gibt nach Treu und Glauben ein vorrangiges schutzwürdiges Vertrauen des V in den Fortbestand der Verträge, da Umstände vorliegen, die den Schluss zulassen, dass die VN auch in Kenntnis ihres Lösungsrechts vom Vertrag an diesem festgehalten hätten. Die drei VN haben trotz der bereits 2002 erfolgten Belehrungen über ihr Widerspruchsrecht erst Ende 2017 nach vorheriger Kündigung und Abrechnung der Verträge von ihrem Widerspruchsrecht Gebrauch gemacht. Der nur geringfügige Fehler der Belehrung hat die VN nicht von der Ausübung des Widerspruchsrechts innerhalb der bei ordnungsgemäßer Belehrung geltenden Frist abgehalten. Die Ausübung der Schriftform ist im Vergleich zur Textform keine wesentliche Erschwernis (Aufgabe von BGH, Urteil vom 17.06.2015 - IV ZR 367/13, Rz. 12, IBRRS 2015, 3575). Deshalb ist es angesichts der Rechtsprechung des EuGH und des BGH unverhältnismäßig, die Lösungsmöglichkeit der drei VN unter Hinweis auf diesen Fehler in der Belehrung zeitlich unbegrenzt zuzulassen.
Praxishinweis
Eine lesenswerte Entscheidung. Ebenso wie der BGH hatten schon das OLG Karlsruhe zur "Schriftform" in der Belehrung (Urteil vom 15.08.2017 - 12 U 97/17, IBRRS 2017, 3049) und der BGH selbst (z. B. auch OLG Dresden, IBR 2019, 461) entschieden, dass es dem VN nach Treu und Glauben wegen widersprüchlicher Rechtsausübung verwehrt ist, sich nach jahrelanger Durchführung des Vertrags auf dessen angebliche Unwirksamkeit zu berufen. Dieser Grundsatz gilt auch, falls das Policenmodell wegen Verstoßes gegen die Lebensversicherungsrichtlinien der EU gemeinschaftswidrig wäre, weshalb der BGH diese Frage nicht entscheiden und sie nicht dem EuGH vorlegen musste.
RA und FA für Bau- und Architektenrecht, FA für Versicherungsrecht Dr. Jörg Schmidt, Schwerin
Gebäudeversicherung: Feststellungsklage zulässig? Pflicht zur Erteilung einer schriftlichen Vollmacht? Obliegenheitsverletzung?
1. Sehen die Bedingungen des Versicherers die Durchführung eines Sachverständigenverfahrens vor, kann der Versicherungsnehmer zunächst auf Feststellung der Ersatzpflicht klagen; auf eine Leistungsklage muss er sich dann nicht verweisen lassen (Anschluss an BGH, Urteil vom 13.04.2022 - IV ZR 60/20, IBRRS 2022, 1345.*)
2. Eine Auskunftsobliegenheit in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen, die den Versicherungsnehmer verpflichtet, "jede Auskunft, auch in Schriftform zu erteilen", umfasst nicht die Verpflichtung zur Erteilung von Vollmachten zur Akteneinsicht in behördliche Unterlagen.*)
3. Unzureichende oder ausweichende Antworten auf eine Anfrage des Versicherers, die die Grenze zur Antwortverweigerung nicht überschreiten, können abhängig von den Umständen des Einzelfalls eine lediglich leicht fahrlässige Obliegenheitsverletzung darstellen, die eine Leistungskürzung nicht rechtfertigt.*)
OLG Dresden, Urteil vom 11.10.2022 - 4 U 36/22
VGB 2008 §§ 7, 12; VVG § 81; ZPO § 256
Problem/Sachverhalt
Der Versicherungsnehmer (VN) schließt bei der Gebäudeversicherung (VS) im Jahr 2012 eine gewerbliche Versicherung für zum Neuwert mit Zeitwertvorbehalt ab. Nach dem Vertrag kann VN verlangen, dass die Höhe des Schadens in einem Sachverständigenverfahren festgestellt wird. Der VN wiederum muss der VS als Obliegenheit im Rahmen des Zumutbaren Auskünfte zur Feststellung des Versicherungsfalls oder des Umfangs der Leistungspflicht schriftlich erteilen. Im Oktober 2015 wird das Gebäude durch Brandstiftung beschädigt. Die VS zahlt 25.000 Euro, übersendet dem VN einen umfangreichen Fragenkatalog und eine Checkliste und bittet ebenso wie der von ihr eingeschaltete Sachverständige um eine Vollmacht zur Kontaktaufnahme mit dem Bauamt, etwaigen Vorversicherern etc. Der VN antwortet auf die Fragen, lehnt eine generelle Vollmacht ab und will die vom Sachverständigen erbetenen Unterlagen nur gegen Kostenerstattung beschaffen. Die VS lehnt die Deckung wegen vorsätzlicher Obliegenheitsverletzungen ab. Der VN klagt auf Feststellung, dass die VS verpflichtet ist, weitere 1.376.000 Euro zu regulieren.
Entscheidung
Zur Zulässigkeit des Feststellungsantrags verweist das OLG auf den BGH (Urteil vom 13.04.2022 - IV ZR 60/20, dort übrigens m.w.N. unter Rz. 20, IBRRS 2022, 1345). Danach ist der VN nicht zu einer Leistungsklage verpflichtet, wenn nach dem Versicherungsvertrag zur Klärung der Schadenshöhe ein Sachverständigenverfahren möglich ist. Das OLG verurteilt die VS zudem zur vollständigen Regulierung - allerdings nur nach dem Zeitwert und ohne die geltend gemachten Verzugsschäden (und ohne den Urteilsbetrag zu nennen). Der VN hat keine Obliegenheit vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt. Der VN war nicht zur Erteilung einer schriftlichen Vollmacht verpflichtet. Bei der Auslegung Allgemeiner Versicherungsbedingungen kommt es darauf an, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Nach dem Wortlaut der Versicherungsbedingung besteht keine Pflicht zur Vollmachtserteilung. Auch der Sinnzusammenhang der Regelungen lässt keine Pflicht zur Vollmachtserteilung erkennen. Der VN hat zudem die gestellten Fragen beantwortet. Dass die Antworten für die VS unbefriedigend oder unzureichend waren, ist unerheblich, da die Grenze zur Antwortverweigerung nicht überschritten ist. Die Nichtbeantwortung der Fragen des von der VS eingeschalteten Sachverständigen bzw. die Nichtbesorgung der Unterlagen ist zwar eine, aber nur leicht fahrlässige Obliegenheitsverletzung. In diesem Fall mag der VN sich allenfalls über den Umfang seiner Verpflichtung geirrt haben, er hat sich aber weder vollständig geweigert, weitere Auskünfte zu erteilen, noch ins Blaue hinein falsche Angaben gemacht.
Praxishinweis
Hier hatten der VN und die VS bereits wegen der Inhaltsversicherung zur Neuwertspitze miteinander gestritten (OLG Dresden, IBR 2021, 49). Auch in diesem Rechtsstreit war die Frage der Zulässigkeit eines Feststellungsantrags streitgegenständlich, ob es darauf ankommt, ob der VN die Ersatzbeschaffung bereits sichergestellt hat. Das OLG Dresden urteilte abweichend von der Rechtsprechung des OLG Köln (VersR 2018, 1248) zu Gunsten des VN.
RA und FA für Bau- und Architektenrecht, FA für Versicherungsrecht Dr. Jörg Schmidt, Schwerin