Verjährung des Deckungsanspruchs des Architekten in der Berufshaftpflichtversicherung

 

1. Die Verjährungsfrist für Ansprüche der Architekten gegen die Berufshaftpflichtversicherung auf Deckung beginnt mit dem Schluss des Jahres zu laufen, in dem der Bauherr gegen den Architekten ernsthaft Ansprüche wegen Planungs- oder Überwachungsfehlern geltend macht.

2. Die Verjährung ist von der Anmeldung des Anspruchs bis zum Eingang der Ablehnung der Einstandspflicht gehemmt.

3. Der Begriff der verjährungshemmenden "Verhandlungen" ist weit auszulegen. Verhandlungen schweben bereits dann, wenn eine der Parteien Erklärungen abgibt, die der jeweils anderen die Annahme gestatten, der Erklärende lasse sich auf Erörterungen über die Berechtigung des Anspruchs oder dessen Umfang ein. Notwendig ist ein zweiseitiger kommunikativer Prozess, sodass das Angebot zu Verhandlungen oder gar Vorschläge zu einem konkreten Entgegenkommen noch keine Verhandlung sind, wenn es bzw. sie unerwidert bleiben.
4. Ein verjährungshemmendes Stillhalteabkommen ist nur anzunehmen, wenn der Schuldner auf Grund einer rechtsgeschäftlichen Vereinbarung berechtigt sein soll, vorübergehend die Leistung zu verweigern und der Gläubiger sich der Möglichkeit begeben hat, seine Ansprüche jederzeit weiterzuverfolgen.

5. Ein verjährungshemmendes Stillhalteabkommen kann auch "stillschweigend" durch zu würdigendes schlüssiges Verhalten getroffen werden. Hierfür muss ein äußeres Verhalten festgestellt werden, das nach §§ 133, 157 BGB als Ausdruck einer solchen einvernehmlichen Entschließung ausgelegt werden kann.

 

KG, Beschluss vom 13.01.2023 - 6 U 191/21

BGB §§ 133, 157, 195, 199, 203, 204; VVG a.F. § 12

 

Problem/Sachverhalt

Ein Auftraggeber verlangt anwaltlich vertreten vom Architekten (A) mit Schreiben vom 14.4.2008 Schadensersatz (mehr als 500.000,00 €). Seine Berufshaftpflichtversicherung (VS) lehnt die Deckung am 15.5.2009 und 2.10.2012 ab. A erhebt am 18.11.2013 Deckungsklage. Am Schluss der mündlichen Verhandlung am 19.12.2014 beraumt das Landgericht (LG) Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf den 13.2.2015 an. Das LG ordnet auf Antrag des A mit Zustimmung des VS am 30.1.2015 das Ruhen des Verfahrens an. Am 28.4.2015 und 31.3.2020 schreibt A VS an. Mit Schreiben vom 30.4.2020 lehnt VS die Deckung ab. VS erhebt die Einrede der Verjährung. Am 28.10.2020 beantragt A die Fortsetzung des Rechtsstreits. Das LG weist die Klage wegen Verjährung ab.

 

Entscheidung

Das KG beabsichtigt, die Berufung zurückzuweisen. Der Deckungsanspruch war am 28.10.2020 sogar gemäß § 195 BGB verjährt. Die Verjährungsfrist beginnt mit dem Schluss des Jahres der Fälligkeit des Anspruchs zu laufen, also nachdem der Gläubiger gegen den Versicherungsnehmer Haftpflichtansprüche ernsthaft geltend gemacht hat, hier mit Ablauf des 31.12.2008. Die Verjährungsfrist war für die Dauer bis zur Mitteilung des Ergebnisses der Leistungsprüfung, also bis spätestens zum 2.10.2012, gehemmt. Am 18.11.2013 wurde die Verjährungsfrist durch Klageerhebung gehemmt. Sie begann erneut 6 Monate nach dem Beschluss des LG vom 30.1.2015 über das Ruhen des Verfahrens zu laufen (§ 204 Abs. 2 S. 3 i.V.m. S. 1 BGB). Weder vorher noch hinterher gab es schwebende, zweiseitige Verhandlungen gemäß § 203 BGB. Zudem ist § 203 BGB nicht anwendbar, wenn die Verjährung bereits durch Rechtsverfolgung gehemmt ist. A hat kein Stillhalteabkommen bewiesen. Das Erheben der Einrede der Verjährung ist nicht treuwidrig. Die Zustimmung zum Ruhen des Verfahrens ist kein Verzicht auf die Einrede.

 

Praxishinweis

Der Anwalt des A kann schadensersatzpflichtig und A im Ergebnis doch noch schadensfrei sein. Der Anwalt hat die Verjährungsfristen zu beachten und ggf. für eine weitere Hemmung der Verjährungsfrist zu sorgen. Durch das Anordnen des Ruhens des Verfahrens wird die Verjährungsfrist lediglich für 6 Monate nach dem Beschluss gehemmt. Dann beginnt sie erneut zu laufen (ebenso: LG Karlsruhe, Urteil vom 11.02.2009 - Az. 1 S 91/07). In Ausnahmefällen kann die Verjährungseinrede treuwidrig sein (vgl. BGH, Urteil vom 21.06.2001 – IX ZR 215/12).

 

 

gez. Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bau-, Architekten- und Versicherungsrecht Dr. Jörg Schmidt, Schwerin

Geringfügiger Belehrungsfehler: Widerspruch ist treuwidrig!

Die Ausübung des Widerspruchsrechts gem. § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. (hier: Fassung vom 13.07.2001) verstößt gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB), wenn ein geringfügiger Belehrungsfehler vorliegt, durch den dem Versicherungsnehmer nicht die Möglichkeit genommen wird, sein Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben (hier: Schriftform statt Textform).*)

BGH, Urteil vom 15.02.2023 - IV ZR 353/21

BGB § 242; VVG a.F. § 5a Abs. 1 Satz 1

Problem/Sachverhalt

Beim früher verbreiteten, teilweise für gemeinschaftsrechtswidrig gehaltenen "Policenmodell" erhielt der Versicherungsnehmer (VN) die Vertragsunterlagen mit den AVB und Verbraucherinformationen erst zusammen mit dem vom Versicherer (V) übermittelten Versicherungsschein. Zwischen dem 29.07.1994 und dem 31.12.2007 so geschlossene Versicherungsverträge können zeitlich unbegrenzt durch einen Widerspruch gem. § 5a VVG a.F. widerrufen werden, wenn die Widerspruchsbelehrung fehlt oder unwirksam ist. Der Widerspruch wirkt rückwirkend. V muss (außer beim Todesfallschutz) die gezahlten Prämien (zuzüglich gezogener Nutzungen) wegen ungerechtfertigter Bereicherung zurückzahlen. Drei VN schlossen Ende 2002 so bei V drei fondsgebundene Lebens- bzw. Rentenversicherungen ab. Die Widerrufsbelehrungen lauten: "Der Vertrag gilt ... als abgeschlossen, wenn Sie nicht innerhalb von 14 Tagen nach Erhalt der genannten Unterlagen schriftlich widersprechen. ... Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs an uns." Zunächst kündigen, dann widerrufen die drei VN die Verträge und verlangen die Rückzahlung von insgesamt 23.373,84 Euro. Zur Begründung führen sie an, dass seit dem 01.08.2001 nicht mehr Schrift-, sondern nur noch Textform für den Widerruf vorgeschrieben war, die Widerrufsbelehrungen deshalb unwirksam waren.

Entscheidung

Die VN verlieren in allen drei Instanzen. Es gibt nach Treu und Glauben ein vorrangiges schutzwürdiges Vertrauen des V in den Fortbestand der Verträge, da Umstände vorliegen, die den Schluss zulassen, dass die VN auch in Kenntnis ihres Lösungsrechts vom Vertrag an diesem festgehalten hätten. Die drei VN haben trotz der bereits 2002 erfolgten Belehrungen über ihr Widerspruchsrecht erst Ende 2017 nach vorheriger Kündigung und Abrechnung der Verträge von ihrem Widerspruchsrecht Gebrauch gemacht. Der nur geringfügige Fehler der Belehrung hat die VN nicht von der Ausübung des Widerspruchsrechts innerhalb der bei ordnungsgemäßer Belehrung geltenden Frist abgehalten. Die Ausübung der Schriftform ist im Vergleich zur Textform keine wesentliche Erschwernis (Aufgabe von BGH, Urteil vom 17.06.2015 - IV ZR 367/13, Rz. 12, IBRRS 2015, 3575). Deshalb ist es angesichts der Rechtsprechung des EuGH und des BGH unverhältnismäßig, die Lösungsmöglichkeit der drei VN unter Hinweis auf diesen Fehler in der Belehrung zeitlich unbegrenzt zuzulassen.

Praxishinweis

Eine lesenswerte Entscheidung. Ebenso wie der BGH hatten schon das OLG Karlsruhe zur "Schriftform" in der Belehrung (Urteil vom 15.08.2017 - 12 U 97/17IBRRS 2017, 3049) und der BGH selbst (z. B. auch OLG Dresden, IBR 2019, 461) entschieden, dass es dem VN nach Treu und Glauben wegen widersprüchlicher Rechtsausübung verwehrt ist, sich nach jahrelanger Durchführung des Vertrags auf dessen angebliche Unwirksamkeit zu berufen. Dieser Grundsatz gilt auch, falls das Policenmodell wegen Verstoßes gegen die Lebensversicherungsrichtlinien der EU gemeinschaftswidrig wäre, weshalb der BGH diese Frage nicht entscheiden und sie nicht dem EuGH vorlegen musste.

RA und FA für Bau- und Architektenrecht, FA für Versicherungsrecht Dr. Jörg Schmidt, Schwerin

Gebäudeversicherung: Feststellungsklage zulässig? Pflicht zur Erteilung einer schriftlichen Vollmacht? Obliegenheitsverletzung?

1. Sehen die Bedingungen des Versicherers die Durchführung eines Sachverständigenverfahrens vor, kann der Versicherungsnehmer zunächst auf Feststellung der Ersatzpflicht klagen; auf eine Leistungsklage muss er sich dann nicht verweisen lassen (Anschluss an BGH, Urteil vom 13.04.2022 - IV ZR 60/20IBRRS 2022, 1345.*)
2. Eine Auskunftsobliegenheit in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen, die den Versicherungsnehmer verpflichtet, "jede Auskunft, auch in Schriftform zu erteilen", umfasst nicht die Verpflichtung zur Erteilung von Vollmachten zur Akteneinsicht in behördliche Unterlagen.*)
3. Unzureichende oder ausweichende Antworten auf eine Anfrage des Versicherers, die die Grenze zur Antwortverweigerung nicht überschreiten, können abhängig von den Umständen des Einzelfalls eine lediglich leicht fahrlässige Obliegenheitsverletzung darstellen, die eine Leistungskürzung nicht rechtfertigt.*)

OLG Dresden, Urteil vom 11.10.2022 - 4 U 36/22

VGB 2008 §§ 7, 12; VVG § 81; ZPO § 256

Problem/Sachverhalt

Der Versicherungsnehmer (VN) schließt bei der Gebäudeversicherung (VS) im Jahr 2012 eine gewerbliche Versicherung für zum Neuwert mit Zeitwertvorbehalt ab. Nach dem Vertrag kann VN verlangen, dass die Höhe des Schadens in einem Sachverständigenverfahren festgestellt wird. Der VN wiederum muss der VS als Obliegenheit im Rahmen des Zumutbaren Auskünfte zur Feststellung des Versicherungsfalls oder des Umfangs der Leistungspflicht schriftlich erteilen. Im Oktober 2015 wird das Gebäude durch Brandstiftung beschädigt. Die VS zahlt 25.000 Euro, übersendet dem VN einen umfangreichen Fragenkatalog und eine Checkliste und bittet ebenso wie der von ihr eingeschaltete Sachverständige um eine Vollmacht zur Kontaktaufnahme mit dem Bauamt, etwaigen Vorversicherern etc. Der VN antwortet auf die Fragen, lehnt eine generelle Vollmacht ab und will die vom Sachverständigen erbetenen Unterlagen nur gegen Kostenerstattung beschaffen. Die VS lehnt die Deckung wegen vorsätzlicher Obliegenheitsverletzungen ab. Der VN klagt auf Feststellung, dass die VS verpflichtet ist, weitere 1.376.000 Euro zu regulieren.

Entscheidung

Zur Zulässigkeit des Feststellungsantrags verweist das OLG auf den BGH (Urteil vom 13.04.2022 - IV ZR 60/20, dort übrigens m.w.N. unter Rz. 20, IBRRS 2022, 1345). Danach ist der VN nicht zu einer Leistungsklage verpflichtet, wenn nach dem Versicherungsvertrag zur Klärung der Schadenshöhe ein Sachverständigenverfahren möglich ist. Das OLG verurteilt die VS zudem zur vollständigen Regulierung - allerdings nur nach dem Zeitwert und ohne die geltend gemachten Verzugsschäden (und ohne den Urteilsbetrag zu nennen). Der VN hat keine Obliegenheit vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt. Der VN war nicht zur Erteilung einer schriftlichen Vollmacht verpflichtet. Bei der Auslegung Allgemeiner Versicherungsbedingungen kommt es darauf an, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Nach dem Wortlaut der Versicherungsbedingung besteht keine Pflicht zur Vollmachtserteilung. Auch der Sinnzusammenhang der Regelungen lässt keine Pflicht zur Vollmachtserteilung erkennen. Der VN hat zudem die gestellten Fragen beantwortet. Dass die Antworten für die VS unbefriedigend oder unzureichend waren, ist unerheblich, da die Grenze zur Antwortverweigerung nicht überschritten ist. Die Nichtbeantwortung der Fragen des von der VS eingeschalteten Sachverständigen bzw. die Nichtbesorgung der Unterlagen ist zwar eine, aber nur leicht fahrlässige Obliegenheitsverletzung. In diesem Fall mag der VN sich allenfalls über den Umfang seiner Verpflichtung geirrt haben, er hat sich aber weder vollständig geweigert, weitere Auskünfte zu erteilen, noch ins Blaue hinein falsche Angaben gemacht.

Praxishinweis

Hier hatten der VN und die VS bereits wegen der Inhaltsversicherung zur Neuwertspitze miteinander gestritten (OLG Dresden, IBR 2021, 49). Auch in diesem Rechtsstreit war die Frage der Zulässigkeit eines Feststellungsantrags streitgegenständlich, ob es darauf ankommt, ob der VN die Ersatzbeschaffung bereits sichergestellt hat. Das OLG Dresden urteilte abweichend von der Rechtsprechung des OLG Köln (VersR 2018, 1248) zu Gunsten des VN.

RA und FA für Bau- und Architektenrecht, FA für Versicherungsrecht Dr. Jörg Schmidt, Schwerin 

 

1. Sehen die Bedingungen des Versicherers die Durchführung eines Sachverständigenverfahrens vor, kann der Versicherungsnehmer zunächst auf Feststellung der Ersatzpflicht klagen; auf eine Leistungsklage muss er sich dann nicht verweisen lassen (Anschluss an BGH, Urteil vom 13.04.2022 - IV ZR 60/20IBRRS 2022, 1345.*)
2. Eine Auskunftsobliegenheit in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen, die den Versicherungsnehmer verpflichtet, "jede Auskunft auch in Schriftform zu erteilen", umfasst nicht die Verpflichtung zur Erteilung von Vollmachten zur Akteneinsicht in behördliche Unterlagen.*)
3. Unzureichende oder ausweichende Antworten auf eine Anfrage des Versicherers, die die Grenze zur Antwortverweigerung nicht überschreiten, können abhängig von den Umständen des Einzelfalls eine lediglich leicht fahrlässige Obliegenheitsverletzung darstellen, die eine Leistungskürzung nicht rechtfertigt.*)

OLG Dresden, Urteil vom 11.10.2022 - 4 U 36/22

VGB 2008 §§ 7, 12; VVG § 81; ZPO § 256

Problem/Sachverhalt

Der Versicherungsnehmer (VN) schließt bei der Gebäudeversicherung (VS) im Jahr 2012 eine gewerbliche Versicherung zum Neuwert mit Zeitwertvorbehalt ab. Nach dem Vertrag kann der VN verlangen, dass die Höhe des Schadens in einem Sachverständigenverfahren festgestellt wird. Der VN wiederum muss der VS als Obliegenheit im Rahmen des Zumutbaren Auskünfte zur Feststellung des Versicherungsfalls oder des Umfangs der Leistungspflicht schriftlich erteilen. Im Oktober 2015 wird das Gebäude durch Brandstiftung beschädigt. Die VS zahlt 25.000 Euro, übersendet dem VN einen umfangreichen Fragenkatalog und eine Checkliste und bittet ebenso wie der von ihr eingeschaltete Sachverständige (SV) um eine Vollmacht zur Kontaktaufnahme u. a. mit dem Bauamt. Der VN antwortet auf die Fragen, lehnt aber eine generelle Vollmacht ab. Die VS lehnt die Deckung wegen vorsätzlicher Obliegenheitsverletzungen ab. Der VN klagt auf Feststellung, dass die VS verpflichtet ist, weitere 1.376.000 Euro zu regulieren.

Entscheidung

Zur Zulässigkeit des Feststellungsantrags verweist das OLG auf den BGH (Urteil vom 13.04.2022 - IV ZR 60/20IBRRS 2022, 1345) und verurteilt die VS zur vollständigen Regulierung - allerdings nur nach dem Zeitwert und ohne die geltend gemachten Verzugsschäden (und ohne den Urteilsbetrag zu nennen). Der VN hat keine Obliegenheit verletzt. Er war nicht zur Erteilung einer schriftlichen Vollmacht verpflichtet. Bei der Auslegung Allgemeiner Versicherungsbedingungen kommt es darauf an, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie versteht. Nach dem Wortlaut der Versicherungsbedingung besteht keine Pflicht zur Vollmachtserteilung. Der VN hat zudem die gestellten Fragen beantwortet. Dass die Antworten für die VS unbefriedigend oder unzureichend waren, ist unerheblich, da die Grenze zur Antwortverweigerung nicht überschritten ist. Die Nichtbeantwortung der Fragen des SV bzw. die Nichtbesorgung der Unterlagen ist eine nur leicht fahrlässige Obliegenheitsverletzung. In diesem Fall mag der VN sich allenfalls über den Umfang seiner Verpflichtung geirrt haben, er hat sich aber weder vollständig geweigert, weitere Auskünfte zu erteilen, noch ins Blaue hinein falsche Angaben gemacht.

Praxishinweis

Hier hatten der VN und die VS bereits wegen der Inhaltsversicherung zur Neuwertspitze miteinander gestritten (OLG Dresden, IBR 2021, 49). Auch in diesem Rechtsstreit war die Frage der Zulässigkeit eines Feststellungsantrags streitgegenständlich, ob es darauf ankommt, dass der VN die Ersatzbeschaffung bereits sichergestellt hat. Das OLG Dresden urteilte abweichend von der Rechtsprechung des OLG Köln (VersR 2018, 1248) zu Gunsten des VN.

RA und FA für Bau- und Architektenrecht, FA für Versicherungsrecht Dr. Jörg Schmidt, Schwerin 

Wiederherstellungsklausel: Einzelne Schadenspositionen sind lediglich unselbstständige Rechnungsabgrenzungsposten

1. In der Wohngebäudeversicherung stellen einzelne Schadenspositionen lediglich unselbstständige Rechnungsabgrenzungsposten dar.*)
2. Die Berufung des Versicherers auf den Fristablauf einer strengen Wiederherstellungsklausel für die Erstattung des Neuwerts ist nicht schon deswegen nach Treu und Glauben ausgeschlossen, weil Zahlungen auf den Zeitwert erst nach Ablauf dieser Frist geleistet wurden.*)

OLG Dresden, Urteil vom 28.06.2022 - 4 U 436/21

AVB § 21 Abs. 12; VGB § 12; VVG § 93

Problem/Sachverhalt

Der Versicherungsnehmer (VN) ist Eigentümer eines Mehrfamilienhauses. Er bewohnt die Dachgeschosswohnung. Er unterhält einen Wohngebäudeversicherungsvertrag zum dynamischen Neuwert mit einer Wiederherstellungsklausel, nach der er den den Zeitwert überschreitenden Neuwert nur behalten darf, soweit er dessen Verwendung zur Wiederherstellung des Gebäudes innerhalb von drei Jahren nach Eintritt des Versicherungsfalls sicherstellt. Ein Mietverlust in Höhe der ortsüblichen Miete ist versichert. Am 07.04.2016 kommt es zu einem Brand in der vom VN bewohnten Wohnung. Der Sachverständige des Versicherers (V) ermittelt als Zeitwertschaden 20.379,19 Euro brutto und als Neuwertschaden einschließlich aller Kosten 28.290,32 Euro. V bezahlt ihn. Er bezahlt unter Berufung auf das Ablaufen der Drei-Jahres-Frist nicht den Mietausfallschaden für fiktive Hotelkosten (2.394 Euro), die Reparatur der Elektrik (5.811,58 Euro) und nicht reparierte Schäden am Dach und Parkett (ohne Einzelbetragsangaben). Der VN behauptet, ein Versicherungsvertreter des V habe ihm erklärt, die Frist sei mit der Anmeldung der Forderung eingehalten.

Entscheidung

Das OLG weist die Berufung des VN zurück und gibt der Anschlussberufung des V, die Verurteilung zur Zahlung der teilweisen Kosten der Wiederherstellung der Elektroanlage aufzuheben, statt. Es besteht kein Anspruch auf Zahlung fiktiven Mietausfalls. Gemäß § 12 VGB besteht ein Anspruch auf Nutzungsausfall, wenn die Räume insgesamt unbenutzbar geworden sind. Der VN hat mit seiner Familie die aus zwei Etagen bestehende Wohnung überwiegend weiter genutzt. Von insgesamt 159,6 qm waren lediglich 32,08 qm von Löschwasser betroffen. Der VN hat trotz vorgelegter Rechnung keinen Anspruch auf Zahlung für Elektroarbeiten. Die Rechnung gab als Ausführungszeitraum April 2016 an, datierte jedoch erst vom 15.01.2019. Sie stammte nicht von einem Installateurbetrieb, sondern von einer Computerfirma. Elektroinstallationen darf nur ausführen, wer gem. § 13 Abs. 2 Satz 4 NAV (Niederspannungsanschlussverordnung) in einem Installateurverzeichnis eines Netzbetreibers eingetragen ist. Dem VN stünde unabhängig davon der Anspruch der Höhe nach allenfalls über 127,93 Euro zu. Der VN hat die Zahlung i.H.v. 28.290,32 Euro nicht berücksichtigt. Darin waren die Elektroarbeiten bis auf 127,93 Euro enthalten. Bei dem Wohngebäudeversicherungsschaden handelt es sich sämtlich um Sachleistungen und damit einen einheitlichen Schaden, bei dem die einzelnen Positionen nur unselbstständige Rechnungsposten sind (vgl. BGH, Urteil vom 11.11.2004 - III ZR 200/03IBRRS 2005, 0372; Urteil vom 07.06.2011 - VI ZR 260/10IBRRS 2011, 2457). Die weiteren Forderungen sind wegen des Ablaufs der Drei-Jahres-Frist aus § 21 Abs. 12 AVB abzuweisen. Der Versicherungsvertrag enthält eine strenge Wiederherstellungsklausel. Nach Ablauf der Frist kann ein Anspruch auf die Neuwertentschädigung nicht mehr entstehen (OLG Dresden, Urteil vom 06.10.2020 - 4 U 2789/19IBRRS 2020, 3251). Der VN hat die Durchführung der Arbeiten nicht bis zum 07.04.2019 sichergestellt. Die Berufung auf die Ausschlussfrist stellt keine unzulässige Rechtsausübung dar. Die Auszahlung des Zeitwerts erst nach Ablauf der Drei-Jahres-Frist beruhte darauf, dass der VN die bei ihm angeforderten Unterlagen erst im März 2019 und den Grundbuchauszug gar nicht vorlegte. Der VN hat nicht bewiesen, dass der Versicherungsvertreter die von ihm behauptete Erklärung abgegeben hat.

Praxishinweis

Bereits gezahlte Versicherungsleistungen (auf die Neuwertspitze) kann der Versicherer zurückverlangen, wenn der VN die Wiederherstellung des Gebäudes nicht wirksam sicherstellt (OLG Hamm, IBR 2016, 737). Dabei muss der VN auch darauf achten, dass er eine bedingungsgemäße Sicherstellung nachweisen kann (vgl. dazu OLG Hamm, a.a.O.). Es ist möglich, dass ein Antrag auf Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz der Neuwertspitze zulässig ist, auch wenn eine Wiederherstellung oder Ersatzbeschaffung noch nicht sichergestellt ist (OLG Dresden, IBR 2021, 49).

RA und FA für Bau- und Architektenrecht, FA für Versicherungsrecht Dr. Jörg Schmidt, Schwerin