Falsches Kochfeld bedient: Brand grob fahrlässig verursacht!
1. Die Versicherung ist berechtigt, die Versicherungsleistung zu kürzen, wenn der Versicherungsnehmer im guten Glauben, den Elektroherd ausgeschaltet zu haben, das Haus verlässt, tatsächlich aber beim Abschalten ein falsches Kochfeld bedient hat.*)
2. In einem solchen Fall liegt grobe Fahrlässigkeit vor, weil eine Vergewisserung, ob das richtige Kochfeld ausgeschaltet und auch kein anderes in Betrieb ist, unterblieben ist.*)
3. Eine solche Nachschaupflicht besteht jedenfalls dann, wenn der Küchenherd ohne Sicht auf die Bedienelemente und im Wissen, dass unmittelbar an die Beendigung des Bedienvorgangs das Haus verlassen wird, betätigt worden ist.*)
OLG Bremen, Urteil vom 12.05.2022 - 3 U 37/21
VGB 2010 § 19 Ziff. 1 Abs. 3; VVG § 81 Abs. 2,
Problem/Sachverhalt
Der Versicherungsnehmer (VN) nimmt seine Wohngebäudeversicherung nach einem Brandschaden in Anspruch. Der Brand entstand wie im ersten Leitsatz ausgeführt. Der Versicherer (V) reguliert den Schaden zu 75%. V beruft sich auf die Kürzung der Versicherungsleistung wegen grober Fahrlässigkeit. Der VN klagt den offenen Restbetrag i.H.v. 8.962,48 Euro ein. Das Landgericht geht von einfacher Fahrlässigkeit aus und gibt der Klage statt. V geht in Berufung.
Entscheidung
Mit Erfolg! Der VN hat den Brand grob fahrlässig verursacht. Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Diese Sorgfalt muss in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und es muss dasjenige unbeachtet geblieben sein, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Objektiv grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und das nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss. Eine Herdplatte auf höchste Stufe zu stellen und dann das Haus für 20 Minuten zu verlassen, stellt einen solchen objektiven Sorgfaltsverstoß dar. Subjektiv muss ein besonders hohes Maß an Vorwerfbarkeit, es muss eine auch subjektiv unentschuldbare Pflichtwidrigkeit vorliegen, die das in § 276 Abs. 2 BGB bestimmte Maß erheblich überschreitet. Es ist unerheblich, dass der VN glaubte, alle Herdplatten ausgeschaltet zu haben. Der VN hat die Drehknöpfe offenkundig ohne Sichtkontakt verstellt, denn sonst hätte er nicht den falschen Schalter betätigt. Angesichts der besonderen Gefährlichkeit eines eingeschalteten Elektroherds oblag dem VN die Pflicht nachzuschauen, dass der Herd auch tatsächlich ausgeschaltet war, erst recht, da er beabsichtigte, unmittelbar nach der Betätigung des Herds das Haus zu verlassen. Das wäre einfach, schnell und unproblematisch möglich gewesen. Es liegt kein "Augenblicksversagen" vor. Der VN hat nichts zu einer besonderen Eile oder einer Ablenkung durch eine außergewöhnliche Notsituation vorgetragen. Die Rechtsprechung zu sog. "Routinehandlungen" ist nicht anwendbar. Das Abstellen des Herds unmittelbar vor dem Verlassen des Hauses ist gerade eine besondere Konstellation und keine Routinehandlung. Angesichts des Maßes des groben Verschuldens des VN ist die Kürzung der Versicherungsleistung um 25% angemessen.
Praxishinweis
Der Versicherer argumentierte auch, dass nach der Aufgabe des "Alles-oder-Nichts-Prinzips" durch das seit 2008 geltende VVG auf die subjektive Vorwerfbarkeit zu verzichten sei oder die Anforderungen an die subjektive Vorwerfbarkeit zumindest zu senken seien (siehe z. B. Prölss/Martin/Armbrüster, 31. Aufl., § 81 VVG, Rz. 48; BeckOK VVG/Klimke, 14. Ed., 15.02.2022, § 81 VVG, Rz. 38.1/2). Auf diesen Streit kam es nicht an, da das OLG uneingeschränkt von subjektiv grober Fahrlässigkeit ausging.
RA und FA für Bau- und Architektenrecht, FA für Versicherungsrecht Dr. Jörg Schmidt, Schwerin
1. Ein Wohngebäude- und Hausratversicherer, der für die Sanierung eines Leitungswasserschadens ein Fachunternehmen auswählt, übernimmt damit grundsätzlich keine eigene Reparaturpflicht gegenüber dem Versicherungsnehmer.*)
2. Der Versicherer schuldet in einer solchen Konstellation nur die ordnungsgemäße Auswahl eines geeigneten Unternehmens, er haftet hingegen nicht für behauptete weitere Schäden, die das ausgewählte Unternehmen bei Durchführung der Sanierungsarbeiten verursacht haben soll (Fortführung von OLG Nürnberg, Urteil vom 05.05.1994 - 8 U 597/94, NJW-RR 1994, 1512).*)
OLG Nürnberg, Beschluss vom 21.03.2022 – 8 U 3825/21
BGB §§ 278,280 Abs. 1; VVG § 1
Problem/Sachverhalt
Der Versicherungsnehmer (VN) schließt beim Versicherer (VS) eine Hausrat- und eine Gebäudeversicherung auf Grundlage der Hausratversicherungsbedingungen (HRB) und der Wohngebäudeversicherungsbedingungen (WGB) ab. Am 17.07.2017 entsteht ein Leitungswasserschaden. Der VS benennt ein Unternehmen (U) für die Feuchtigkeitsmessung und Trocknung. Der VN macht geltend, dass durch die Arbeiten von U die Einrichtung des Hauses über den bereits regulierten Teil in Höhe von 2.050,00 € in Höhe weiterer 32.737,32 € beschädigt wurde.
Entscheidung
Der VN unterliegt auch vor dem OLG. Dem VN steht weder ein Erfüllungs- noch ein Schadensersatzanspruch gegen den VS zu. Es besteht kein Erfüllungsanspruch gemäß § 1 S. 1 VVG, Ziff. 12.1.2 HRB und 12.1.2. WGB über den Betrag von 2.050,00 € hinaus. Soweit Mitarbeiter des U die Küchenmöbel nicht eingelagert, sondern entsorgt hätten, ist das kein Versicherungsfall. Die „Entsorgung“ ist keine typische Leitungswassergefahr. Zudem ist ein Verschulden der Mitarbeiter des U dem VS nicht zuzurechnen (s.u.). Es besteht kein Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 BGB oder §§ 823 Abs. 1, 831 Abs. 1 BGB. Der VS schuldet keine Naturalrestitution, sondern eine Entschädigung durch Geldzahlung. Beauftragt ein VS nach Eintritt des Versicherungsfalls einen U mit der Instandsetzung beschädigter Hausratgegenstände und Gebäudeteile, so handelt er dabei regelmäßig im Namen des VN. Ein VS will die Reparatur nicht als eigene vertragliche Verpflichtung und auf eigenes Risiko durchführen, sondern im Interesse des VN die Sanierung beschleunigen. So hat U sein Angebot an den VN und nicht den VS adressiert. Der VN hat das auf Grundlage dieses Angebotes erbrachte Werk entgegengenommen. Aus Sicht eines objektiven Empfängers war dies eine Vertragsannahme. Eine besondere Form war dafür nicht erforderlich. Mit der Instandsetzung beauftragte Unternehmer werden nicht im Pflichtenkreis des VS tätig; sie sind nicht seine Erfüllungsgehilfen, ihr Fehlverhalten ist dem VS nicht zuzurechnen. VS hat keine Überwachungspflicht für den U oder dessen Subunternehmer. Es stellt kein Auswahlverschulden dar, dass VS die Beauftragung eines Subunternehmers nicht unterbunden hat.
Praxishinweis
Das OLG hält die vom VN erhobene Feststellungsklage z.T. für statthaft. VN hatte den geltend gemachten „Handwerkerschaden“ teilweise auf der Grundlage von Kostenvoranschlägen beziffert und Nettobeträge eingeklagt. Gemäß § 249 Abs. 2 S. 2 BGB ist die Umsatzsteuer nur zu erstatten, wenn sie bei dem Geschädigten tatsächlich angefallen ist. Insoweit ist deshalb eine Feststellungsklage zulässig. Das gilt auch für Baustreitigkeiten, wenn z.B. nach der Abnahme Schadensersatz geltend gemacht wird, der Schaden aber noch nicht beseitigt worden ist. Dann kann und muss im Hinblick auf die Umsatzsteuer ein Feststellungsantrag gestellt werden.
gez. Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bau-, Architekten- und Versicherungsrecht Dr. Jörg Schmidt, Schwerin
Bauherren-Ehepaar trennt sich: Wie muss der Klageantrag lauten?
Schließt ein Ehepaar mit einem Bauunternehmer einen Bauvertrag ab, kann jeder der beiden Bauherren allein klagen, muss jedoch grundsätzlich Leistung an alle Gläubiger fordern, da es sich um eine unteilbare Leistung gem. § 432 BGB handelt.
LG Lübeck, Urteil vom 24.09.2021 - 6 O 243/20
BGB § 432
Problem/Sachverhalt
Ein Ehepaar (E 1 und 2) beauftragt ein Bauunternehmen (U) mit der Errichtung eines Einfamilienhauses zum Preis von 241.000 Euro. Während der Ausführung des Bauvorhabens kommt es zu Streitigkeiten u. a. wegen angeblichen Bauverzugs zwischen E 1 und 2 und U. Auch zwischen E 1 und 2 gibt es Streit. E 2 trennt sich von E 1 und hält sich vor ihm versteckt. Gemeinsame Entscheidungen gibt es nicht mehr. U kann das Bauvorhaben nicht fertig stellen, da es z. B. keine gemeinsame Bemusterung der Treppe gibt. E 1 verklagt U auf Schadensersatz. Er beantragt Zahlung an sich selbst. Auf Hinweis des Gerichts beantragt er Zahlung auf ein angeblich gemeinsames Konto mit E 2. U hat von E 2 jedoch die Information erhalten, dass sie auf dieses Konto nicht mehr zugreifen kann.
Entscheidung
Das Landgericht weist die Klage ab. Das Landgericht prüft die Bauverzugsschäden, muss aber nicht darüber entscheiden. E 1 ist mit dem von ihm schließlich gestellten Klageantrag nicht aktivlegitimiert. E 1 und 2 sind gemeinsam Gläubiger der Ansprüche aus dem Bauvertrag. Damit sind diese Ansprüche im Sinne einer gemeinschaftlichen Gläubigerschaft gem. § 432 BGB auf eine unteilbare Leistung gerichtet. Also kann der Gläubiger, der den Anspruch allein geltend macht, grundsätzlich nur Leistung an alle Gläubiger fordern (BGHZ 94, 117 ff.). E 1 hat keine Zahlung an sich und E 2 gemeinsam beantragt. Er hat zudem nicht die Hinterlegung des geforderten Betrags gem. § 432 Abs. 1 Satz 2 BGB beantragt. Er hat E 2 nicht einmal als Mitgläubigerin benannt. Er kann ja noch nicht einmal die Anschrift der von ihm getrennt lebenden E 2 mitteilen. Es ist streitig, ob seine Ehefrau über das Konto, auf das er Zahlung verlangt, mitverfügen kann. Die Einzahlung auf ein solches Konto wäre auch keine Hinterlegung i.S.d. § 372 BGB. E 1 hat schließlich nicht vorgetragen, anstelle der Hinterlegung bei einer öffentlichen Stelle mit seiner Frau die Zahlung auf das streitgegenständliche Konto vereinbart zu haben.
Praxishinweis
Der Sachverhalt ist kein Einzelfall. Die Bau- und Materialpreise steigen immer weiter. Aufgrund der inzwischen enormen Preise für einen Bau haben viele Bauherren keine Rücklagen mehr und geraten auch miteinander in Streit, wenn es zu Mängel- oder Zeitproblemen kommt. Wenn dann nur einer der Bauherren klagen will oder kann, muss der Anwalt des Bauherrn darauf achten, dass er einen Antrag formuliert, der berücksichtigt, dass die Bauherren Mitgläubiger einer unteilbaren Leistung i.S.d. § 432 BGB sind. Das Landgericht hat die verschiedenen Möglichkeiten dafür aufgezeigt. Eine Gesamtgläubigerschaft liegt in solchen Fällen auch dann nicht vor, wenn die Forderung auf Geld oder einen an sich teilbaren Gegenstand gerichtet ist, da im Innenverhältnis zwischen den Bauherren eine Bruchteils- oder Gesamthandsgemeinschaft besteht und also nur eine gemeinsame Empfangszuständigkeit besteht und auch auf diese Fälle § 432 BGB anzuwenden ist.
RA und FA für Bau- und Architektenrecht, FA für Versicherungsrecht Dr. Jörg Schmidt, Schwerin
Frist für Befangenheitsantrag gegen Richter
Der Antrag einer Partei gegen einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit muss gem. § 44 Abs. 4 Satz 2 ZPO unverzüglich gestellt werden, andernfalls ist das Ablehnungsgesuch unzulässig.
OLG Hamburg, Beschluss vom 18.11.2021 - 6 U 170/09
ZPO § 44 Abs. 4 Satz 1, 2
Problem/Sachverhalt
In einem seit 2009 beim OLG Hamburg anhängigen, mittlerweile "berüchtigten" Berufungsverfahren beantragen die Bauherren zum wiederholten Mal, das Gericht wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, nachdem sie ebenfalls wiederholte Male versucht haben, den gerichtlichen Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Das letzte Ablehnungsgesuch gegen das Gericht datiert vom 16.11.2021 und wird mit Beschlüssen des Gerichts vom 06.02.2020, 13.01.2021 und 01.02.2021 begründet.
Entscheidung
Das OLG verwirft den Befangenheitsantrag als unzulässig! Gemäß § 44 Abs. 4 Satz 2 ZPO ist ein Ablehnungsgesuch unverzüglich anzubringen. Wird ein Richter, bei dem sich die Partei in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat, wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, muss gem. § 44 Abs. 4 Satz 1 ZPO glaubhaft gemacht werden, dass der Ablehnungsgrund erst später entstanden oder der Partei bekannt geworden ist. Die Bauherren begründen ihren Befangenheitsantrag damit, dass der Richter den gerichtlichen Sachverständigen trotz mehrfacher Anregungen nicht entpflichtet hat. Sie nehmen insoweit Bezug auf ein Schreiben des Sachverständigen vom 03.01.2020 und einen Beschluss des Gerichts dazu vom 06.02.2020. Das Schreiben und der Beschluss lagen damit den Bauherren mehr als ein Jahr und neun Monate vor, bevor sie das Ablehnungsgesuch vom 16.11.2021 verfassten. Auch der Befangenheitsantrag der Bauherren gegen den Sachverständigen vom 14.10.2020 war bereits mit Beschluss vom 13.01.2021 zurückgewiesen worden. Die Gegenvorstellung der Bauherren dagegen vom 28.01.2021 war bereits mit Beschluss vom 01.02.2021 zurückgewiesen worden. Auch das liegt mehr als neun Monate zurück.
Praxishinweis
Befangenheitsanträge gegen Richter sind selten erfolgreich (s. z. B. OLG Rostock, IBR 2020, 626, und die dazugehörige Leseranmerkung). Hier musste das Gericht die Frage der Begründetheit des Befangenheitsantrags nicht prüfen. Der Befangenheitsantrag war bereits unzulässig. Nicht rechtzeitig angebrachte Ablehnungsgesuche sind präkludiert. Eine Präklusion greift lediglich dann nicht, wenn der Ablehnungsgrund nicht bekannt war oder erst später entstanden ist. Das hat die Partei vorzutragen und glaubhaft zu machen, wofür nach richtiger Ansicht auch eine eidesstattliche Versicherung der Partei zulässig ist. Hier haben die Bauherren den Befangenheitsantrag erst viele Monate nach Bekanntwerden des angeblichen Befangenheitsgrunds gestellt. Grundsätzlich gilt für Ablehnungsgesuche, dass diese unverzüglich geltend zu machen sind. Sinn und Zweck der §§ 43, 44 ZPO ist es, zu verhindern, dass Ablehnungsanträge von einer Partei aus taktischen Gründen zur Verfahrensverzögerung erst dann gestellt werden, wenn sich im Verlauf des Verfahrens eine für sie ungünstige Verhandlungsposition ergibt (OLG Hamburg, Beschluss vom 25.02.2020 - 12 UF 27/19). Das gilt auch für Anträge gegen Sachverständige (z. B. OLG Naumburg, IBR 2012, 743, oder OLG Brandenburg, IBR 2010, 1356 - nur online).
RA und FA für Bau- und Architektenrecht, FA für Versicherungsrecht Dr. Jörg Schmidt, Schwerin
Bausicherheit: Auslegung und Wirksamkeit einer Klausel
1. Wenn die Rückgabe einer Sicherheit "Nach Ablauf der vereinbarten Garantiezeit." vereinbart wird, aber tatsächlich keine Garantie vereinbart wurde, ist der Vertrag aus der Sicht eines vernünftigen Empfängers eindeutig dahin zu verstehen, dass die Gewährleistungszeit gemeint ist.*)
2. Eine Regelung, die für die Ablösung eines Bareinbehalts allein das Stellen einer selbstschuldnerischen, unbefristeten Bürgschaft vorsieht und eine Ablösung durch Hinterlegung von Geld nach § 17 Nr. 5 VOB/B damit ausschließt, stellt sich nicht als benachteiligend i.S.d. § 307 Abs. 1 BGB dar (entgegen OLG Dresden, IBR 2002, 251; Anschluss an BGH, IBR 2018, 78, und IBR 2004, 67).*)
OLG Stuttgart, Urteil vom 24.03.2020 - 10 U 448/19
BGB § 307 Abs. 1, 2, §§ 641, 812 Abs. 1; VOB/B § 17 Nr. 4, 5
Problem/Sachverhalt
Ein Insolvenzverwalter (I) über das Vermögen einer Baufirma (U) begehrt vom Auftraggeber (AG) die Herausgabe einer Gewährleistungsbürgschaft. Der Bauvertrag datiert vom 23.04.2004. Vertragsgrundlage sind die VOB/B und besondere Vertragsbedingungen des AG ohne Regelungen zu Sicherheiten. Ziffer 4 des Zahlungsplans lautet: "Nach Ablauf der vereinbarten Garantiezeit. Eine Ablösung der Zahlung durch eine entsprechend befristete Bankbürgschaft kann erfolgen." U löst den Einbehalt durch eine Bürgschaft i.H.v. 5.060,60 Euro ab, in der auf die Einreden der Anfechtung und Aufrechnung verzichtet wird.
Entscheidung
Der AG muss die Bürgschaft herausgeben, allerdings nur Zug um Zug gegen Übersendung einer selbstschuldnerischen unbefristeten Bürgschaft über 5.060,60 Euro. Die Abrede "nach Ablauf der vereinbarten Garantiezeit" ist so zu verstehen, dass die - noch nicht abgelaufene - Gewährleistungszeit gemeint ist (1. Leitsatz). Zudem ist die Klausel, nach der eine Ablösung durch Hinterlegung von Geld ausgeschlossen ist, wirksam (2. Leitsatz). Also ist der Sicherungszweck nicht entfallen und es gibt eine (wirksame) Sicherungsabrede. Die tatsächlich gestellte Bürgschaft ist aber nicht geschuldet. Der Bauvertrag enthält lediglich im Zahlungsplan unter Ziff. 4 eine Vereinbarung, wonach U den Einbehalt durch Stellung einer "entsprechend befristeten Bankbürgschaft" ablösen kann. Vereinbart ist nicht, dass der Bürge auf die Einreden der Anfechtung und Aufrechnung verzichtet. Die Bürgschaft muss gem. § 17 Abs. 4 VOB/B selbstschuldnerisch und unbefristet sein. Der Bauherr muss also die übergebene Bürgschaftsurkunde Zug um Zug gegen eine entsprechend "reduzierte" Bürgschaftsurkunde herausgeben.
Praxishinweis
Der immer noch verbreitete Versuch von Auftraggebern, Bürgschaften mit einem unbeschränkten Verzicht auf die Einreden der Anfechtung und Aufrechnung zu erhalten, kann in Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht wirksam vereinbart werden (z. B. BGH, BauR 1994 108; BauR 2001, 1093, 1095; IBR 2018, 76; OLG München, IBR 2017, 23; IBR 2019, 71; OLG Düsseldorf, IBR 2018, 562; z. B. auch Schmidt, BauR 2011, 899 ff.; Fuchs, BauR 2010, 969 ff.). Zudem ist eine Klausel, die die Ablösung eines Sicherheitseinbehalts allein durch das Stellen einer Bürgschaft vorsieht, wirksam (BGH, IBR 2004, 67; abl. mit beachtl. Arg.: Franz, ebda.). I hätte sich also die Klage sparen sollen. Das OLG erlegt ihm nach § 97 Abs. 1, § 92 Abs. 1 Nr. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits auf, da die Verurteilung für I wirtschaftlich wertlos ist, insbesondere, da dem Kläger keine Anfechtungsrechte oder aufrechenbaren Gegenforderungen zustehen, deren Geltendmachung dem Bürgen jetzt abgeschnitten werden würden. I hätte jedoch nicht unter Hinweis auf § 17 Abs. 4 VOB/B verurteilt werden dürfen, eine unbefristete Bürgschaft zu übergeben. AG und U hatten von § 17 Abs. 4 VOB/B abweichend eine auf die Gewährleistungszeit befristete Bürgschaft vereinbart.
RA und FA für Bau- und Architektenrecht, FA für Versicherungsrecht Dr. Jörg Schmidt, Schwerin