Wiederherstellungsklausel: Einzelne Schadenspositionen sind lediglich unselbstständige Rechnungsabgrenzungsposten
1. In der Wohngebäudeversicherung stellen einzelne Schadenspositionen lediglich unselbstständige Rechnungsabgrenzungsposten dar.*)
2. Die Berufung des Versicherers auf den Fristablauf einer strengen Wiederherstellungsklausel für die Erstattung des Neuwerts ist nicht schon deswegen nach Treu und Glauben ausgeschlossen, weil Zahlungen auf den Zeitwert erst nach Ablauf dieser Frist geleistet wurden.*)
OLG Dresden, Urteil vom 28.06.2022 - 4 U 436/21
AVB § 21 Abs. 12; VGB § 12; VVG § 93
Problem/Sachverhalt
Der Versicherungsnehmer (VN) ist Eigentümer eines Mehrfamilienhauses. Er bewohnt die Dachgeschosswohnung. Er unterhält einen Wohngebäudeversicherungsvertrag zum dynamischen Neuwert mit einer Wiederherstellungsklausel, nach der er den den Zeitwert überschreitenden Neuwert nur behalten darf, soweit er dessen Verwendung zur Wiederherstellung des Gebäudes innerhalb von drei Jahren nach Eintritt des Versicherungsfalls sicherstellt. Ein Mietverlust in Höhe der ortsüblichen Miete ist versichert. Am 07.04.2016 kommt es zu einem Brand in der vom VN bewohnten Wohnung. Der Sachverständige des Versicherers (V) ermittelt als Zeitwertschaden 20.379,19 Euro brutto und als Neuwertschaden einschließlich aller Kosten 28.290,32 Euro. V bezahlt ihn. Er bezahlt unter Berufung auf das Ablaufen der Drei-Jahres-Frist nicht den Mietausfallschaden für fiktive Hotelkosten (2.394 Euro), die Reparatur der Elektrik (5.811,58 Euro) und nicht reparierte Schäden am Dach und Parkett (ohne Einzelbetragsangaben). Der VN behauptet, ein Versicherungsvertreter des V habe ihm erklärt, die Frist sei mit der Anmeldung der Forderung eingehalten.
Entscheidung
Das OLG weist die Berufung des VN zurück und gibt der Anschlussberufung des V, die Verurteilung zur Zahlung der teilweisen Kosten der Wiederherstellung der Elektroanlage aufzuheben, statt. Es besteht kein Anspruch auf Zahlung fiktiven Mietausfalls. Gemäß § 12 VGB besteht ein Anspruch auf Nutzungsausfall, wenn die Räume insgesamt unbenutzbar geworden sind. Der VN hat mit seiner Familie die aus zwei Etagen bestehende Wohnung überwiegend weiter genutzt. Von insgesamt 159,6 qm waren lediglich 32,08 qm von Löschwasser betroffen. Der VN hat trotz vorgelegter Rechnung keinen Anspruch auf Zahlung für Elektroarbeiten. Die Rechnung gab als Ausführungszeitraum April 2016 an, datierte jedoch erst vom 15.01.2019. Sie stammte nicht von einem Installateurbetrieb, sondern von einer Computerfirma. Elektroinstallationen darf nur ausführen, wer gem. § 13 Abs. 2 Satz 4 NAV (Niederspannungsanschlussverordnung) in einem Installateurverzeichnis eines Netzbetreibers eingetragen ist. Dem VN stünde unabhängig davon der Anspruch der Höhe nach allenfalls über 127,93 Euro zu. Der VN hat die Zahlung i.H.v. 28.290,32 Euro nicht berücksichtigt. Darin waren die Elektroarbeiten bis auf 127,93 Euro enthalten. Bei dem Wohngebäudeversicherungsschaden handelt es sich sämtlich um Sachleistungen und damit einen einheitlichen Schaden, bei dem die einzelnen Positionen nur unselbstständige Rechnungsposten sind (vgl. BGH, Urteil vom 11.11.2004 - III ZR 200/03, IBRRS 2005, 0372; Urteil vom 07.06.2011 - VI ZR 260/10, IBRRS 2011, 2457). Die weiteren Forderungen sind wegen des Ablaufs der Drei-Jahres-Frist aus § 21 Abs. 12 AVB abzuweisen. Der Versicherungsvertrag enthält eine strenge Wiederherstellungsklausel. Nach Ablauf der Frist kann ein Anspruch auf die Neuwertentschädigung nicht mehr entstehen (OLG Dresden, Urteil vom 06.10.2020 - 4 U 2789/19, IBRRS 2020, 3251). Der VN hat die Durchführung der Arbeiten nicht bis zum 07.04.2019 sichergestellt. Die Berufung auf die Ausschlussfrist stellt keine unzulässige Rechtsausübung dar. Die Auszahlung des Zeitwerts erst nach Ablauf der Drei-Jahres-Frist beruhte darauf, dass der VN die bei ihm angeforderten Unterlagen erst im März 2019 und den Grundbuchauszug gar nicht vorlegte. Der VN hat nicht bewiesen, dass der Versicherungsvertreter die von ihm behauptete Erklärung abgegeben hat.
Praxishinweis
Bereits gezahlte Versicherungsleistungen (auf die Neuwertspitze) kann der Versicherer zurückverlangen, wenn der VN die Wiederherstellung des Gebäudes nicht wirksam sicherstellt (OLG Hamm, IBR 2016, 737). Dabei muss der VN auch darauf achten, dass er eine bedingungsgemäße Sicherstellung nachweisen kann (vgl. dazu OLG Hamm, a.a.O.). Es ist möglich, dass ein Antrag auf Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz der Neuwertspitze zulässig ist, auch wenn eine Wiederherstellung oder Ersatzbeschaffung noch nicht sichergestellt ist (OLG Dresden, IBR 2021, 49).
RA und FA für Bau- und Architektenrecht, FA für Versicherungsrecht Dr. Jörg Schmidt, Schwerin
Falsches Kochfeld bedient: Brand grob fahrlässig verursacht!
1. Die Versicherung ist berechtigt, die Versicherungsleistung zu kürzen, wenn der Versicherungsnehmer im guten Glauben, den Elektroherd ausgeschaltet zu haben, das Haus verlässt, tatsächlich aber beim Abschalten ein falsches Kochfeld bedient hat.*)
2. In einem solchen Fall liegt grobe Fahrlässigkeit vor, weil eine Vergewisserung, ob das richtige Kochfeld ausgeschaltet und auch kein anderes in Betrieb ist, unterblieben ist.*)
3. Eine solche Nachschaupflicht besteht jedenfalls dann, wenn der Küchenherd ohne Sicht auf die Bedienelemente und im Wissen, dass unmittelbar an die Beendigung des Bedienvorgangs das Haus verlassen wird, betätigt worden ist.*)
OLG Bremen, Urteil vom 12.05.2022 - 3 U 37/21
VGB 2010 § 19 Ziff. 1 Abs. 3; VVG § 81 Abs. 2,
Problem/Sachverhalt
Der Versicherungsnehmer (VN) nimmt seine Wohngebäudeversicherung nach einem Brandschaden in Anspruch. Der Brand entstand wie im ersten Leitsatz ausgeführt. Der Versicherer (V) reguliert den Schaden zu 75%. V beruft sich auf die Kürzung der Versicherungsleistung wegen grober Fahrlässigkeit. Der VN klagt den offenen Restbetrag i.H.v. 8.962,48 Euro ein. Das Landgericht geht von einfacher Fahrlässigkeit aus und gibt der Klage statt. V geht in Berufung.
Entscheidung
Mit Erfolg! Der VN hat den Brand grob fahrlässig verursacht. Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Diese Sorgfalt muss in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und es muss dasjenige unbeachtet geblieben sein, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Objektiv grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und das nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss. Eine Herdplatte auf höchste Stufe zu stellen und dann das Haus für 20 Minuten zu verlassen, stellt einen solchen objektiven Sorgfaltsverstoß dar. Subjektiv muss ein besonders hohes Maß an Vorwerfbarkeit, es muss eine auch subjektiv unentschuldbare Pflichtwidrigkeit vorliegen, die das in § 276 Abs. 2 BGB bestimmte Maß erheblich überschreitet. Es ist unerheblich, dass der VN glaubte, alle Herdplatten ausgeschaltet zu haben. Der VN hat die Drehknöpfe offenkundig ohne Sichtkontakt verstellt, denn sonst hätte er nicht den falschen Schalter betätigt. Angesichts der besonderen Gefährlichkeit eines eingeschalteten Elektroherds oblag dem VN die Pflicht nachzuschauen, dass der Herd auch tatsächlich ausgeschaltet war, erst recht, da er beabsichtigte, unmittelbar nach der Betätigung des Herds das Haus zu verlassen. Das wäre einfach, schnell und unproblematisch möglich gewesen. Es liegt kein "Augenblicksversagen" vor. Der VN hat nichts zu einer besonderen Eile oder einer Ablenkung durch eine außergewöhnliche Notsituation vorgetragen. Die Rechtsprechung zu sog. "Routinehandlungen" ist nicht anwendbar. Das Abstellen des Herds unmittelbar vor dem Verlassen des Hauses ist gerade eine besondere Konstellation und keine Routinehandlung. Angesichts des Maßes des groben Verschuldens des VN ist die Kürzung der Versicherungsleistung um 25% angemessen.
Praxishinweis
Der Versicherer argumentierte auch, dass nach der Aufgabe des "Alles-oder-Nichts-Prinzips" durch das seit 2008 geltende VVG auf die subjektive Vorwerfbarkeit zu verzichten sei oder die Anforderungen an die subjektive Vorwerfbarkeit zumindest zu senken seien (siehe z. B. Prölss/Martin/Armbrüster, 31. Aufl., § 81 VVG, Rz. 48; BeckOK VVG/Klimke, 14. Ed., 15.02.2022, § 81 VVG, Rz. 38.1/2). Auf diesen Streit kam es nicht an, da das OLG uneingeschränkt von subjektiv grober Fahrlässigkeit ausging.
RA und FA für Bau- und Architektenrecht, FA für Versicherungsrecht Dr. Jörg Schmidt, Schwerin
Frist für Befangenheitsantrag gegen Richter
Der Antrag einer Partei gegen einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit muss gem. § 44 Abs. 4 Satz 2 ZPO unverzüglich gestellt werden, andernfalls ist das Ablehnungsgesuch unzulässig.
OLG Hamburg, Beschluss vom 18.11.2021 - 6 U 170/09
ZPO § 44 Abs. 4 Satz 1, 2
Problem/Sachverhalt
In einem seit 2009 beim OLG Hamburg anhängigen, mittlerweile "berüchtigten" Berufungsverfahren beantragen die Bauherren zum wiederholten Mal, das Gericht wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, nachdem sie ebenfalls wiederholte Male versucht haben, den gerichtlichen Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Das letzte Ablehnungsgesuch gegen das Gericht datiert vom 16.11.2021 und wird mit Beschlüssen des Gerichts vom 06.02.2020, 13.01.2021 und 01.02.2021 begründet.
Entscheidung
Das OLG verwirft den Befangenheitsantrag als unzulässig! Gemäß § 44 Abs. 4 Satz 2 ZPO ist ein Ablehnungsgesuch unverzüglich anzubringen. Wird ein Richter, bei dem sich die Partei in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat, wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, muss gem. § 44 Abs. 4 Satz 1 ZPO glaubhaft gemacht werden, dass der Ablehnungsgrund erst später entstanden oder der Partei bekannt geworden ist. Die Bauherren begründen ihren Befangenheitsantrag damit, dass der Richter den gerichtlichen Sachverständigen trotz mehrfacher Anregungen nicht entpflichtet hat. Sie nehmen insoweit Bezug auf ein Schreiben des Sachverständigen vom 03.01.2020 und einen Beschluss des Gerichts dazu vom 06.02.2020. Das Schreiben und der Beschluss lagen damit den Bauherren mehr als ein Jahr und neun Monate vor, bevor sie das Ablehnungsgesuch vom 16.11.2021 verfassten. Auch der Befangenheitsantrag der Bauherren gegen den Sachverständigen vom 14.10.2020 war bereits mit Beschluss vom 13.01.2021 zurückgewiesen worden. Die Gegenvorstellung der Bauherren dagegen vom 28.01.2021 war bereits mit Beschluss vom 01.02.2021 zurückgewiesen worden. Auch das liegt mehr als neun Monate zurück.
Praxishinweis
Befangenheitsanträge gegen Richter sind selten erfolgreich (s. z. B. OLG Rostock, IBR 2020, 626, und die dazugehörige Leseranmerkung). Hier musste das Gericht die Frage der Begründetheit des Befangenheitsantrags nicht prüfen. Der Befangenheitsantrag war bereits unzulässig. Nicht rechtzeitig angebrachte Ablehnungsgesuche sind präkludiert. Eine Präklusion greift lediglich dann nicht, wenn der Ablehnungsgrund nicht bekannt war oder erst später entstanden ist. Das hat die Partei vorzutragen und glaubhaft zu machen, wofür nach richtiger Ansicht auch eine eidesstattliche Versicherung der Partei zulässig ist. Hier haben die Bauherren den Befangenheitsantrag erst viele Monate nach Bekanntwerden des angeblichen Befangenheitsgrunds gestellt. Grundsätzlich gilt für Ablehnungsgesuche, dass diese unverzüglich geltend zu machen sind. Sinn und Zweck der §§ 43, 44 ZPO ist es, zu verhindern, dass Ablehnungsanträge von einer Partei aus taktischen Gründen zur Verfahrensverzögerung erst dann gestellt werden, wenn sich im Verlauf des Verfahrens eine für sie ungünstige Verhandlungsposition ergibt (OLG Hamburg, Beschluss vom 25.02.2020 - 12 UF 27/19). Das gilt auch für Anträge gegen Sachverständige (z. B. OLG Naumburg, IBR 2012, 743, oder OLG Brandenburg, IBR 2010, 1356 - nur online).
RA und FA für Bau- und Architektenrecht, FA für Versicherungsrecht Dr. Jörg Schmidt, Schwerin
1. Ein Wohngebäude- und Hausratversicherer, der für die Sanierung eines Leitungswasserschadens ein Fachunternehmen auswählt, übernimmt damit grundsätzlich keine eigene Reparaturpflicht gegenüber dem Versicherungsnehmer.*)
2. Der Versicherer schuldet in einer solchen Konstellation nur die ordnungsgemäße Auswahl eines geeigneten Unternehmens, er haftet hingegen nicht für behauptete weitere Schäden, die das ausgewählte Unternehmen bei Durchführung der Sanierungsarbeiten verursacht haben soll (Fortführung von OLG Nürnberg, Urteil vom 05.05.1994 - 8 U 597/94, NJW-RR 1994, 1512).*)
OLG Nürnberg, Beschluss vom 21.03.2022 – 8 U 3825/21
BGB §§ 278,280 Abs. 1; VVG § 1
Problem/Sachverhalt
Der Versicherungsnehmer (VN) schließt beim Versicherer (VS) eine Hausrat- und eine Gebäudeversicherung auf Grundlage der Hausratversicherungsbedingungen (HRB) und der Wohngebäudeversicherungsbedingungen (WGB) ab. Am 17.07.2017 entsteht ein Leitungswasserschaden. Der VS benennt ein Unternehmen (U) für die Feuchtigkeitsmessung und Trocknung. Der VN macht geltend, dass durch die Arbeiten von U die Einrichtung des Hauses über den bereits regulierten Teil in Höhe von 2.050,00 € in Höhe weiterer 32.737,32 € beschädigt wurde.
Entscheidung
Der VN unterliegt auch vor dem OLG. Dem VN steht weder ein Erfüllungs- noch ein Schadensersatzanspruch gegen den VS zu. Es besteht kein Erfüllungsanspruch gemäß § 1 S. 1 VVG, Ziff. 12.1.2 HRB und 12.1.2. WGB über den Betrag von 2.050,00 € hinaus. Soweit Mitarbeiter des U die Küchenmöbel nicht eingelagert, sondern entsorgt hätten, ist das kein Versicherungsfall. Die „Entsorgung“ ist keine typische Leitungswassergefahr. Zudem ist ein Verschulden der Mitarbeiter des U dem VS nicht zuzurechnen (s.u.). Es besteht kein Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 BGB oder §§ 823 Abs. 1, 831 Abs. 1 BGB. Der VS schuldet keine Naturalrestitution, sondern eine Entschädigung durch Geldzahlung. Beauftragt ein VS nach Eintritt des Versicherungsfalls einen U mit der Instandsetzung beschädigter Hausratgegenstände und Gebäudeteile, so handelt er dabei regelmäßig im Namen des VN. Ein VS will die Reparatur nicht als eigene vertragliche Verpflichtung und auf eigenes Risiko durchführen, sondern im Interesse des VN die Sanierung beschleunigen. So hat U sein Angebot an den VN und nicht den VS adressiert. Der VN hat das auf Grundlage dieses Angebotes erbrachte Werk entgegengenommen. Aus Sicht eines objektiven Empfängers war dies eine Vertragsannahme. Eine besondere Form war dafür nicht erforderlich. Mit der Instandsetzung beauftragte Unternehmer werden nicht im Pflichtenkreis des VS tätig; sie sind nicht seine Erfüllungsgehilfen, ihr Fehlverhalten ist dem VS nicht zuzurechnen. VS hat keine Überwachungspflicht für den U oder dessen Subunternehmer. Es stellt kein Auswahlverschulden dar, dass VS die Beauftragung eines Subunternehmers nicht unterbunden hat.
Praxishinweis
Das OLG hält die vom VN erhobene Feststellungsklage z.T. für statthaft. VN hatte den geltend gemachten „Handwerkerschaden“ teilweise auf der Grundlage von Kostenvoranschlägen beziffert und Nettobeträge eingeklagt. Gemäß § 249 Abs. 2 S. 2 BGB ist die Umsatzsteuer nur zu erstatten, wenn sie bei dem Geschädigten tatsächlich angefallen ist. Insoweit ist deshalb eine Feststellungsklage zulässig. Das gilt auch für Baustreitigkeiten, wenn z.B. nach der Abnahme Schadensersatz geltend gemacht wird, der Schaden aber noch nicht beseitigt worden ist. Dann kann und muss im Hinblick auf die Umsatzsteuer ein Feststellungsantrag gestellt werden.
gez. Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bau-, Architekten- und Versicherungsrecht Dr. Jörg Schmidt, Schwerin
Bauherren-Ehepaar trennt sich: Wie muss der Klageantrag lauten?
Schließt ein Ehepaar mit einem Bauunternehmer einen Bauvertrag ab, kann jeder der beiden Bauherren allein klagen, muss jedoch grundsätzlich Leistung an alle Gläubiger fordern, da es sich um eine unteilbare Leistung gem. § 432 BGB handelt.
LG Lübeck, Urteil vom 24.09.2021 - 6 O 243/20
BGB § 432
Problem/Sachverhalt
Ein Ehepaar (E 1 und 2) beauftragt ein Bauunternehmen (U) mit der Errichtung eines Einfamilienhauses zum Preis von 241.000 Euro. Während der Ausführung des Bauvorhabens kommt es zu Streitigkeiten u. a. wegen angeblichen Bauverzugs zwischen E 1 und 2 und U. Auch zwischen E 1 und 2 gibt es Streit. E 2 trennt sich von E 1 und hält sich vor ihm versteckt. Gemeinsame Entscheidungen gibt es nicht mehr. U kann das Bauvorhaben nicht fertig stellen, da es z. B. keine gemeinsame Bemusterung der Treppe gibt. E 1 verklagt U auf Schadensersatz. Er beantragt Zahlung an sich selbst. Auf Hinweis des Gerichts beantragt er Zahlung auf ein angeblich gemeinsames Konto mit E 2. U hat von E 2 jedoch die Information erhalten, dass sie auf dieses Konto nicht mehr zugreifen kann.
Entscheidung
Das Landgericht weist die Klage ab. Das Landgericht prüft die Bauverzugsschäden, muss aber nicht darüber entscheiden. E 1 ist mit dem von ihm schließlich gestellten Klageantrag nicht aktivlegitimiert. E 1 und 2 sind gemeinsam Gläubiger der Ansprüche aus dem Bauvertrag. Damit sind diese Ansprüche im Sinne einer gemeinschaftlichen Gläubigerschaft gem. § 432 BGB auf eine unteilbare Leistung gerichtet. Also kann der Gläubiger, der den Anspruch allein geltend macht, grundsätzlich nur Leistung an alle Gläubiger fordern (BGHZ 94, 117 ff.). E 1 hat keine Zahlung an sich und E 2 gemeinsam beantragt. Er hat zudem nicht die Hinterlegung des geforderten Betrags gem. § 432 Abs. 1 Satz 2 BGB beantragt. Er hat E 2 nicht einmal als Mitgläubigerin benannt. Er kann ja noch nicht einmal die Anschrift der von ihm getrennt lebenden E 2 mitteilen. Es ist streitig, ob seine Ehefrau über das Konto, auf das er Zahlung verlangt, mitverfügen kann. Die Einzahlung auf ein solches Konto wäre auch keine Hinterlegung i.S.d. § 372 BGB. E 1 hat schließlich nicht vorgetragen, anstelle der Hinterlegung bei einer öffentlichen Stelle mit seiner Frau die Zahlung auf das streitgegenständliche Konto vereinbart zu haben.
Praxishinweis
Der Sachverhalt ist kein Einzelfall. Die Bau- und Materialpreise steigen immer weiter. Aufgrund der inzwischen enormen Preise für einen Bau haben viele Bauherren keine Rücklagen mehr und geraten auch miteinander in Streit, wenn es zu Mängel- oder Zeitproblemen kommt. Wenn dann nur einer der Bauherren klagen will oder kann, muss der Anwalt des Bauherrn darauf achten, dass er einen Antrag formuliert, der berücksichtigt, dass die Bauherren Mitgläubiger einer unteilbaren Leistung i.S.d. § 432 BGB sind. Das Landgericht hat die verschiedenen Möglichkeiten dafür aufgezeigt. Eine Gesamtgläubigerschaft liegt in solchen Fällen auch dann nicht vor, wenn die Forderung auf Geld oder einen an sich teilbaren Gegenstand gerichtet ist, da im Innenverhältnis zwischen den Bauherren eine Bruchteils- oder Gesamthandsgemeinschaft besteht und also nur eine gemeinsame Empfangszuständigkeit besteht und auch auf diese Fälle § 432 BGB anzuwenden ist.
RA und FA für Bau- und Architektenrecht, FA für Versicherungsrecht Dr. Jörg Schmidt, Schwerin