Abbrucharbeiten mit Bagger: reicht Mitursächlichkeit für Haftung?

1. Der Geschädigte kann gegen den Insolvenzverwalter gem. § 110 VVG eine Leistungsklage erheben, wenn ihm kein einfacherer Weg zur Durchsetzung seiner Forderungen zur Verfügung steht. Daneben kann der Geschädigte Feststellungsklage gegen den Versicherer erheben.
2. Die Mitursächlichkeit der Arbeiten eines Abbruchunternehmers reicht zu seiner Haftung aus.
3. Für die Mitursächlichkeit von Baggerarbeiten für den späteren Absturz eines Betonbinders spricht der Beweis des ersten Anscheins, wenn der Abbruchunternehmer gegen technische Regeln verstoßen hat, deren Zweck in dem Schutz von Menschen und benachbarten Sachwerten besteht.
4. Der Auftraggeber muss sich ein Mitverschulden von 30% am Einsturz eines Gebäudeteils anrechnen lassen, wenn er nach einem ersten Teileinsturz die Abrissarbeiten unmittelbar in Auftrag gibt statt einen Statiker hinzuzuziehen, um seinen Produktionsbetrieb möglichst schnell fortzuführen.

OLG Dresden, Urteil vom 05.08.2021 - 10 U 1729/19

VVG § 110, BGB §§ 280 Abs. 1, 823 Abs. 1, 254

Problem/Sachverhalt

Am 17.12.2010 bricht das Vordach einer Halle des Eigentümers E wegen hoher Schneelast zusammen. Am nächsten Tag findet eine Ortsbegehung statt, an der neben E u. a. ein von ihm herbeigerufener Architekt (A) und der Abbruchunternehmer (U) teilnehmen. Zur Vermeidung einer Betriebsunterbrechung beauftragt E den U sogleich. Während der Abbrucharbeiten stürzt ein Dachbinder in der Halle ab. Dabei beschädigt er Versorgungsleitungen, Produktionsanlagen und die Dachabdichtung. U meldet Insolvenz an. E verklagt den Insolvenzverwalter auf Zahlung von 560.000 Euro und klagt gegen den Betriebshaftpflichtversicherer auf Feststellung, dass dieser verpflichtet ist, dem Insolvenzverwalter Deckungsschutz zu gewähren.

Entscheidung

Das Gericht entscheidet wie aus den Leitsätzen (LS) ersichtlich. § 110 VVG ermöglicht dem Geschädigten gerade, dass Recht auf abgesonderte Befriedigung aus der Versicherungsforderung gegenüber dem Insolvenzverwalter ohne den Umweg über das insolvenzrechtliche Prüfungsverfahren geltend zu machen, beschränkt auf Leistung aus der Entschädigungsforderung (1. LS). Im Hinblick auf den 2. LS hatte das LG die Klage noch abgewiesen. Das OLG stellt klar, dass sowohl ein vertraglicher als auch ein gesetzlicher Schadensersatzanspruch gegen den Abbruchunternehmer und ihm folgend den Insolvenzverwalter besteht. Nach den sachverständigen Feststellungen steht fest, dass die Abbrucharbeiten zumindest mitursächlich für den abstürzenden Betonbinder waren. Nicht erforderlich ist, festzustellen, dass der zum Schadensersatz verpflichtende Umstand die überwiegende oder wesentliche Ursache für den eingetretenen Schaden ist. Gemäß dem 3. LS entscheidet das Gericht, dass für die Mitursächlichkeit der Baggerarbeiten bereits der Beweis des ersten Anscheins spricht. Denn U hatte laut dem Gerichtssachverständigen gerade gegen Regeln verstoßen, die den Schutz von Menschen und Sachwerten bezwecken. E trifft jedoch ein Mitverschulden (4. LS). Er hätte der Empfehlung des A, vor dem Abbruch einen Statiker oder Planer zu beauftragen, befolgen müssen, statt einseitig auf die Fortführung des Produktionsbetriebs zu achten. Das Gericht wertet die Sachkunde des U höher als das Verhalten des E, da E selbst über keine Fachkenntnisse verfügte. Weder der Architekt noch die Insolvenzschuldnerin hätten U "plastisch vor Augen geführt, welche Gefahren mit dem Abriss des eingestürzten Vordachs verbunden sein können".

Praxishinweis

Bei der Mitverursachungsquote kann man m. E. eine höhere Quote zulasten des E annehmen. E hatte zum Ortstermin vor Beauftragung der Abbrucharbeiten einen Architekten hinzugezogen, der ihm dringend empfohlen hatte, einen Statiker oder Prüfstatiker zu beauftragen, bevor die Arbeiten ausgeführt werden würden. E wollte aber die Produktion in der Halle nicht unterbrechen.

RA und FA für Bau- und Architektenrecht, FA für Versicherungsrecht Dr. Jörg Schmidt, Schwerin