Bausicherheit: Auslegung und Wirksamkeit einer Klausel

1. Wenn die Rückgabe einer Sicherheit "Nach Ablauf der vereinbarten Garantiezeit." vereinbart wird, aber tatsächlich keine Garantie vereinbart wurde, ist der Vertrag aus der Sicht eines vernünftigen Empfängers eindeutig dahin zu verstehen, dass die Gewährleistungszeit gemeint ist.*)
2. Eine Regelung, die für die Ablösung eines Bareinbehalts allein das Stellen einer selbstschuldnerischen, unbefristeten Bürgschaft vorsieht und eine Ablösung durch Hinterlegung von Geld nach § 17 Nr. 5 VOB/B damit ausschließt, stellt sich nicht als benachteiligend i.S.d. § 307 Abs. 1 BGB dar (entgegen OLG Dresden, IBR 2002, 251; Anschluss an BGH, IBR 2018, 78, und IBR 2004, 67).*)

OLG Stuttgart, Urteil vom 24.03.2020 - 10 U 448/19

BGB § 307 Abs. 1, 2, §§ 641812 Abs. 1; VOB/B § 17 Nr. 4, 5

Problem/Sachverhalt

Ein Insolvenzverwalter (I) über das Vermögen einer Baufirma (U) begehrt vom Auftraggeber (AG) die Herausgabe einer Gewährleistungsbürgschaft. Der Bauvertrag datiert vom 23.04.2004. Vertragsgrundlage sind die VOB/B und besondere Vertragsbedingungen des AG ohne Regelungen zu Sicherheiten. Ziffer 4 des Zahlungsplans lautet: "Nach Ablauf der vereinbarten Garantiezeit. Eine Ablösung der Zahlung durch eine entsprechend befristete Bankbürgschaft kann erfolgen." U löst den Einbehalt durch eine Bürgschaft i.H.v. 5.060,60 Euro ab, in der auf die Einreden der Anfechtung und Aufrechnung verzichtet wird.

Entscheidung

Der AG muss die Bürgschaft herausgeben, allerdings nur Zug um Zug gegen Übersendung einer selbstschuldnerischen unbefristeten Bürgschaft über 5.060,60 Euro. Die Abrede "nach Ablauf der vereinbarten Garantiezeit" ist so zu verstehen, dass die - noch nicht abgelaufene - Gewährleistungszeit gemeint ist (1. Leitsatz). Zudem ist die Klausel, nach der eine Ablösung durch Hinterlegung von Geld ausgeschlossen ist, wirksam (2. Leitsatz). Also ist der Sicherungszweck nicht entfallen und es gibt eine (wirksame) Sicherungsabrede. Die tatsächlich gestellte Bürgschaft ist aber nicht geschuldet. Der Bauvertrag enthält lediglich im Zahlungsplan unter Ziff. 4 eine Vereinbarung, wonach U den Einbehalt durch Stellung einer "entsprechend befristeten Bankbürgschaft" ablösen kann. Vereinbart ist nicht, dass der Bürge auf die Einreden der Anfechtung und Aufrechnung verzichtet. Die Bürgschaft muss gem. § 17 Abs. 4 VOB/B selbstschuldnerisch und unbefristet sein. Der Bauherr muss also die übergebene Bürgschaftsurkunde Zug um Zug gegen eine entsprechend "reduzierte" Bürgschaftsurkunde herausgeben.

Praxishinweis

Der immer noch verbreitete Versuch von Auftraggebern, Bürgschaften mit einem unbeschränkten Verzicht auf die Einreden der Anfechtung und Aufrechnung zu erhalten, kann in Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht wirksam vereinbart werden (z. B. BGH, BauR 1994 108BauR 2001, 1093, 1095; IBR 2018, 76; OLG München, IBR 2017, 23IBR 2019, 71; OLG Düsseldorf, IBR 2018, 562; z. B. auch Schmidt, BauR 2011, 899 ff.; Fuchs, BauR 2010, 969 ff.). Zudem ist eine Klausel, die die Ablösung eines Sicherheitseinbehalts allein durch das Stellen einer Bürgschaft vorsieht, wirksam (BGH, IBR 2004, 67; abl. mit beachtl. Arg.: Franz, ebda.). I hätte sich also die Klage sparen sollen. Das OLG erlegt ihm nach § 97 Abs. 1, § 92 Abs. 1 Nr. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits auf, da die Verurteilung für I wirtschaftlich wertlos ist, insbesondere, da dem Kläger keine Anfechtungsrechte oder aufrechenbaren Gegenforderungen zustehen, deren Geltendmachung dem Bürgen jetzt abgeschnitten werden würden. I hätte jedoch nicht unter Hinweis auf § 17 Abs. 4 VOB/B verurteilt werden dürfen, eine unbefristete Bürgschaft zu übergeben. AG und U hatten von § 17 Abs. 4 VOB/B abweichend eine auf die Gewährleistungszeit befristete Bürgschaft vereinbart.

RA und FA für Bau- und Architektenrecht, FA für Versicherungsrecht Dr. Jörg Schmidt, Schwerin Autorenprofil