Versicherung trägt Beweislast für arglistige Obliegenheitsverletzung!

1. Die Beweislast für eine arglistige Obliegenheitsverletzung trägt der Versicherer; der Versicherungsnehmer, dessen Kenntnis von einem mitteilungspflichtigen Umstand bewiesen ist, trägt hingegen die Beweislast für einen nachträglichen Wegfall dieser Kenntnis.*)
2. Der dem Versicherungsnehmer obliegende Beweis mangelnder Ursächlichkeit einer Obliegenheitsverletzung erfordert, dass der Versicherungsnehmer die sich aus dem Sachverhalt ergebenden Möglichkeiten sowie die weitergehenden Behauptungen des Versicherers ausräumt. Der Versicherer muss im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast allerdings die konkrete Möglichkeit eines günstigeren Ergebnisses aufzeigen.*)

OLG Dresden, Urteil vom 06.10.2020 - 4 U 2789/19

VVG § 28 Abs. 4

Problem/Sachverhalt

Der Versicherungsnehmer (VN) verlangt für den durch einen Brand beschädigten Gebäudeinhalt 61.807,54 Euro. Am 09.08.2016 lehnt der Versicherer (VS) eine Regulierung wegen vorsätzlicher Verletzung der Aufklärungspflicht ab. Das Landgericht weist die Klage des VN ab, da der VN seiner Auskunftsobliegenheit vorsätzlich nicht nachgekommen sei; er habe keine Schadensaufstellung mit genauer Bezeichnung der Gegenstände, des Anschaffungspreises und -jahres vorgelegt. Der VN erklärt, am 22.07.2016 eine Aufstellung an den vom VS bevollmächtigten Versicherungsmakler übersandt zu haben, zum Teil habe er keine Belege gehabt, zum Teil habe er nicht gewusst, dass er die Unterlagen noch habe beschaffen können, im Übrigen seien Anschaffungsbelege nicht mehr vorhanden.

Entscheidung

Das OLG weist die Berufung gegen das klageabweisende erstinstanzliche Urteil bis auf einen geringen Zeitwertbetrag von 2.430 Euro zurück. In Höhe des Zeitwerts ist der Anspruch des VN nicht aufgrund einer Obliegenheitsverletzung ausgeschlossen, auch wenn der VN Obliegenheiten aus dem Versicherungsvertrag verletzt hat, indem er dem VS nicht die von diesem verlangten Auskünfte erteilte. Der VN wäre hierzu verpflichtet gewesen, soweit ihm dies möglich gewesen wäre. Insoweit handelte der VN jedenfalls grob fahrlässig. Wenn der VN von einem mitteilungspflichtigen Umstand einmal Kenntnis hatte, wird das Fortbestehen der Kenntnis zum Zeitpunkt der streitigen Aufklärungspflichtverletzung vermutet mit der Folge, dass der VN nach dem Motto "einmal gewusst - immer gewusst" das Entfallen der einmal vorhanden gewesenen Kenntnis zu beweisen hat. Arglist kann der VS nicht beweisen. Der VS hat keinen Anspruch darauf, eine Vollmacht zur Einholung von Auskünften beim Bau- oder Jugendamt zu erhalten. Eine Leistungskürzung kommt trotz der grob fahrlässigen Obliegenheitsverletzung nicht in Betracht, da der VN nachweist, dass die Verletzung der Obliegenheit weder für den Eintritt noch für die Feststellung des Versicherungsfalls noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht ursächlich ist. Mehr als im zweiten Leitsatz ausgeführt kann vom VN nicht verlangt werden. Der VS muss dann die konkrete Möglichkeit eines für ihn günstigeren Ergebnisses aufzeigen. Daran fehlt es. Es liegt schließlich keine Gefahrerhöhung vor. Der bloße Leerstand eines Gebäudes führt nicht zu einer Erhöhung der Brandgefahr.

Praxishinweis

Obliegenheiten begründen für den VN Anzeige-, Mitteilungs-, Auskunfts-, Aufklärungs- und sonstige Verhaltenspflichten, von deren Einhaltung der Anspruch auf Versicherungsschutz abhängen kann. Sie sind weder einklagbar, noch führen sie zu Schadensersatzansprüchen. Der VN muss sie vielmehr im eigenen Interesse erfüllen, um die Versicherungsleistung zu erhalten. Entgegen allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen bei Rechtspflichten hat nicht der VN die Erfüllung der Obliegenheit, sondern der VS deren Verletzung zu beweisen.

 

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bau-, Architekten und Versicherungsrecht Dr. Jörg Schmidt, Schwerin